Bis 2026 entstehen an einem Schlüsselbauplatz direkt am Ostufer des Sees elf Häuser mit einer Nutzfläche von knapp 20.000 Quadratmetern und einem ganz besonderen Konzept. Als Pioniermodell für das Grätzel von morgen soll hier nachhaltiges Leben möglich und das Wohnen und Arbeiten unter einem Dach vereint werden, mit einem starken Business-Ökosystem. Die Pläne für dieses Großprojekt werden aber nicht am berühmten grünen Tisch gemacht, sondern co-kreativ mit den künftigen Mietern der Wohn- und Gewerbeflächen entwickelt. Die von Anfang an in die Planung eingebunden werden, ihre Wünsche, Ideen und Bedürfnisse einbringen können – und dabei auch wirklich gehört werden. „workflow“ hat die Initiatoren Michaela Mischek-Lainer, Geschäftsführerin der Mischek Bauträger GmbH, und Herbert Bork, Raumplaner und Abteilungsleiter von StadtLand, zu dem neuen Pionierprojekt des ÖVW interviewt.
Mit dem „Seestädter“ entsteht ein ganz neues Grätzel, bei dem auf Co-Kreation und Schwarmintelligenz gesetzt wird. Wie genau kann man sich das vorstellen?
Michaela Mischek: Die Grundidee war und ist, jetzt nach zehn beziehungsweise 15 Jahren Entwicklung wieder in die Seestadt hineinzuhören, denn die Zeit bleibt ja nicht stehen. Wir wollen Geschäftsleute und Bewohner fragen, was es braucht, damit diejenigen, die schon dort leben, gern dort leben; und was fehlt, damit diejenigen, die dort arbeiten auch dorthin ziehen. Diese grobe Idee haben wir dann der 3420 aspern Development AG vorgestellt – und dann bereits co-kreativ mit den Architekten und aufgrund von Studien den richtigen Bauplatz ausgewählt.
Herbert Bork: Wichtig ist uns dabei, dass die Co-Kreation nicht nur während der Projektentwicklung, sondern
auch danach weiter gelebt wird. Dabei geht es um das Zusammentreffen verschiedener Lebenswelten – etwa von Gewerbebetrieben und Familien.
Welche Vorteile hat das für die unterschiedlichen Mieter, stört man einander da nicht eher?
Bork: Überhaupt nicht, wichtig ist nur, dass es jemand kuratiert. Dann können etwa Unternehmen, die aus einer Branche stammen – in einem ersten Schritt setzen wir die Schwerpunkte auf die Bereiche Radlogistik und Kreislaufdesign, darüber mitbestimmen, was sie brauchen. Das beginnt bei der Gestaltung des Innenhofes oder der Freiflächen und geht bis zur gemeinschaftlichen Nutzung von Besprechungsräumen oder einer Müllpresse. Auch eine flexible Nutzung von Lagerflächen ist denkbar, nicht nur saisonal, sondern auch, wenn bei einem die Geschäfte zurückgehen und bei jemand anderem gerade besonders boomen. Außerdem können die Unternehmen voneinander profitieren, zum Beispiel bei der Produktentwicklung oder bei der Herstellung von Prototypen.
Mischek: Ich glaube auch ganz grundsätzlich, dass ein klimaneutrales Quartier dann besser funktioniert, wenn die erste Wahl für ein Problem oder Projekt der Nachbar und nicht jemand ist, der 50 Minuten entfernt ist. Auch wenn natürlich vieles über das Netz geht, ist es einfach besser, wenn jemand vor Ort ist. Diese geografische Nähe nutzen wir daher auch bis in die Details. So ist es uns beispielsweise gelungen, dass der Inhalt der Biotonnen von der MA48 direkt zu den Bauern in der Umgebung gebracht wird – was nicht nur klimaneutraler ist, sondern auch für geringere Gebühren sorgt.
Neben dem Gewerbe ist aber auch die Gestaltung des Wohnraumes co-kreativ geplant. Wie können die künftigen Bewohner davon profitieren und wie kann man mitmachen?
Mischek: Auch bei den Wohnformen gibt es viele besondere Wünsche und Bedürfnisse, die in einem solchen Projekt berücksichtigt werden können. Beispielsweise kenne ich zwei befreundete Familien, die sich eine Wohnform wünschen, bei der beide ihren Rückzugsraum hätten, aber auch einen verbindenden Gemeinschaftsraum, etwa eine Wohnküche, in dem sie sich die Kinderbetreuung teilen. So etwas gibt es aber bisher im klassischen Wohnungsmarkt nicht. Genau wie Angebote für Menschen mit besonderen medizinischen Bedürfnissen, die bei der Wohnsituation berücksichtigt werden müssen.
Bork: Außerdem hat die Seestadt einen extrem hohen Kinderanteil und bietet sensationelle Betreuungsangebote. Aber manchmal muss man vielleicht auch am Samstagnachmittag noch zwei, drei Stunden arbeiten und will die Kinder nicht wieder in eine Fremdbetreuung geben. Da bin ich dann froh, wenn ich in einen Coworking Space gehen kann, in dem auch meine Kinder sein können und bei Bedarf zu mir laufen. Und ich weiß, wovon ich rede, ich habe selbst drei Kinder...
Wie wird diese co-kreative Arbeit jetzt konkret weitergehen?
Mischek: Neben den beiden Schwerpunkten Kreislaufwirtschaft und Radlogistik ist die Hausgemeinschaft, in der gewohnt und gearbeitet wird, das dritte große Thema. Für diese drei Bereiche werden wir uns im Herbst aktiv an die Communitys wenden und Nutzer beziehungsweise Bewohner ansprechen, die sich vorstellen können, mit uns in den Prozess zu gehen und quasi als Preis dafür eine Mietwohnung zu bekommen. Das wird jetzt über sogenannte Calls für zwei der elf Häuser – das Stadtteilhaus und das Atelierhaus – , passieren. Diese findet man auf unserer Webseite www.dasseestaedter.at/calls.
In den drei Jahren bis zur Fertigstellung kann ja noch viel passieren. Wie stark muss man sich da jetzt schon verpflichten?
Mischek: Grundsätzlich gilt der Konsumentenschutz für alle unsere Mieter wie für jeden Mieter in anderen Projekten auch, keine Frage. Aber wie bei anderen Mietverhältnissen, geht man mit ganz speziellen Sonderwünschen, die für andere sehr wahrscheinlich nicht passen, auch eine stärkere Verpflichtung ein. Um ein Beispiel aus dem klassischen Wohnbau zu nennen: Wer sich eine fünfeckige lila Badewanne einbauen lässt, wird diese im Zweifelsfall wieder rückbauen müssen, wenn er wieder aus- beziehungsweise gar nicht einzieht.