Sylvia Schlagintweit engagiert sich seit 2003 in ihrem Verein Denkraum Donaustadt mit Kultur- und Bildungsprojekten in der Apotheke zum Löwen von Aspern. Die Vermittlung von Gesundheitsthemen für Kinder in Form von Workshops ist eines der langjährigen erfolgreichen Projekte. Seit 2015 betreibt das Ehepaar Schlagintweit in der Seestadt mit Partnern eine neue Apotheke, in der das Engagement für Kinder und Familien fortgesetzt wird.
Unternehmen Gesundheit
Zwei engagierte Frauen, deren Lebensweg unterschiedlicher nicht sein kann, fühlen sich in der Seestadt den Anforderungen der WHO-Gesundheitsdefinition verpflichtet.

Ins kalte Wasser
Das Rüstzeug dafür holte sie sich als Schulungsleiterin in einem EDV-Trainingscenter und als Lehrerin für Deutsch und Französisch. „Mein Mann war damals angestellter Pharmazeut, der sich mit einer eigenen Apotheke selbstständig machen wollte“, schildert Schlagintweit einen entscheidenden Wendepunkt in ihrem Leben. 2003 wurde in Aspern die ,Apotheke zum Löwen von Aspern' übernommen, ein Altbau mit Stiegen und einem winzigen Verkaufsraum, kurz: alles andere als barrierefrei. Schon bald errichtete Wilhelm Schlagintweit mit dem Architektenteam ARTEC einen spektakulären Apotheken-Neubau. Das transparente Gebäude mit großem Seminarraum gruppiert sich seither um ein Atrium, in dem ein Ginko-Baum steht. Zusätzlich wurde ein Heilkräutergarten integriert. „Als Vorbild diente der Klostergarten der hessischen Abtei Seligenstadt. Für Kinder und Jugendliche werden dort seit mehr als 20 Jahren Workshops abgehalten, um Aufmerksamkeit für das Thema Gesundheit zu schaffen“, erklärt Schlagintweit. „Wir treten mit dem Programm ,Heilkräuterwerkstatt für junge ForscherInnen' in einen Dialog mit den Kindern, indem wir sie durch die Räume der Apotheke und den Kräutergarten führen, Salben rühren und Kräutertees herstellen.“
Vor zehn Jahren kam eine zweite Apotheke als eines der ersten Geschäfte in der Seestadt dazu. Sylvia Schlagintweit übernahm dabei die Aufgabe, die Apotheke in einem Gemeinschaftshaus von null auf einzurichten. „Da bin ich ins kalte Wasser gesprungen“, gibt sie unumwunden zu. Auch dort wurde das Arzneimittel-Angebot bald um Kultur ergänzt. „In dem Gemeinschaftshaus gibt es einen Vortragssaal, in dem wir unter anderem mit der Buchhandlung Seeseiten' Lesungen veranstalteten“, erzählt Schlagintweit.
Gebürtig aus Steyr, studierte Sylvia Schlagintweit nach einem Auslandsjahr in Paris in Wien Ethnologie und Französisch, ehe sie erstmals mit Kunst in Berührung kam. Ihr erster Job führte sie in die Requisite der Vereinigten Bühnen Wien. Aber was wäre Kultur ohne entsprechende Vermittlung.
Kultur. Sylvia Schlagintweit ergänzt in ihrer Apotheke das Arzneimittel-Angebotn mit Kultur-kreativen Apothekenprojekten und Workshops für Kinder. © Luiza Puiu
Zur Person
Innovativ
Zur selben Zeit gründeten Catherine Chuchylina und ihr Vater ein Unternehmen, das IT-basierte digitale Gesundheitsprodukte entwickelt und weltweit vertreibt. Die Familie besaß bereits ein Medizin- und IT-Technologieunternehmen in ihrer Heimat Ukraine. 800 Krankenhäuser mit rund neun Millionen Patient*innen gehörten zu den Nutzern. Aufgrund der russischen Invasion in den Donbass im Jahr 2014 wurde beschlossen, das Unternehmen in ein anderes Land zu verlagern. Die Wahl fiel auf Österreich, nachdem die Wirtschaftsagentur ihre Unterstützung zugesagt hatte. „Es kamen viele Länder in Frage, darunter auch die USA“, berichtet Chuchylina. „Aber wir haben uns für Wien entschieden, weil die öffentliche Unterstützung hier gut mit unserer Vision übereinstimmt.“ 2018 wurden die ersten telemedizinischen Produkte von SK Telemed auf den Markt gebracht, und im selben Jahr begannen auch die Exportaktivitäten. Das junge Unternehmen nahm an Messen teil, erläuterte die Vorteile seiner Geräte und akquirierte Vertriebspartner. Chuchylina: „Unsere Kernkompetenz ist die IT für den Gesundheitsbereich, und daraus haben wir verschiedene Systeme entwickelt. Schließlich ist es für Ärzte besonders wichtig, objektive Daten über ihre Patient*innen zu erhalten.“ Rund 30 Mitarbeiter*innen arbeiten heute für SK Telemed online und vor Ort im Gewerbehof der Seestadt.
Medizinisches Grundinteresse
„Vor allem für diejenigen, für die es schwierig ist, in einem Notfall rechtzeitig ein Krankenhaus zu erreichen. Wir ermöglichen dies durch Ferndiagnose mit Hilfe digitaler Gesundheitsanwendungen“, erklärt Chuchylina. Sie beschreibt die Aktivitäten, die dazu beitragen, das Leben eines Patienten zu verändern, als sinnstiftende Momente in ihrer Arbeit: „Obwohl ich diese Patienten niemals persönlich treffe, weil ich vielleicht 1000 Kilometer entfernt bin, hat es einen Einfluss, was man selbst getan hat.“ Chuchylina: „Wenn ich sehe, was möglich ist, muss ich mich dafür einsetzen. Das motiviert mich, einen Weg zu finden und ihn zu gehen.“ Sie erzählt von einer schwangeren Frau von der Elfenbeinküste in Westafrika, die ohne die Ultraschallaufzeichnung, die in einem IT-Produkt für Telemedizin von SK Telemed implementiert ist, nie die Chance gehabt hätte, ein Kind zu bekommen. „Die Untersuchungen und Diagnosen wurden 500 Kilometer entfernt in der Hauptstadt Yamoussoukre durchgeführt.“ Oder von einem Angehörigen eines indigenen Stammes im brasilianischen Regenwald, dem erstmals vor Ort ein EKG geschrieben wurde und der danach eine professionelle medizinische Behandlung erhielt. Der Weg zum nächsten Krankenhaus wäre zu weit gewesen.
Wie viele technische Berufe ist auch die Medizintechnik eine Männerdomäne. Chuchylina fiel es jedoch nicht schwer, sich durchzusetzen: „Ich bin meinen Eltern sehr dankbar, dass sie mir eine gute Ausbildung ermöglicht haben und dass ich ein gutes Selbstvertrauen entwickeln konnte, so dass ich mich nicht unterschätzt habe. Auf internationaler Ebene werde ich genauso behandelt wie meine männlichen Kollegen.“ Sie hat noch einen weiteren Ratschlag für Gründerinnen: „Sie können mehr erreichen, als Sie glauben. Auch wenn es manchmal herausfordernd ist: Setzt euren Weg entschlossen fort, dann werdet ihr erfolgreich sein.“
In der Ukraine sind über 3.000 tragbare Telehealth Kits von SK Telemed im Einsatz. Damit wird Menschen in Kriegsgebieten geholfen, in Evakuierungsstellen oder wo die Gesundheitsversorgung und Infrastruktur zerstört sind. Sie ermöglichen in all der Not rasche Diagnose und Behandlung.
Chuchylina stammt aus einer Arztfamilie. Sie selbst hat einen Doktortitel, einen Universitätsabschluss in Soziologie und internationaler Wirtschaft, während ihr Vater über die notwendigen medizinischen Qualifikationen als Arzt und Master im Gesundheitsmanagement Beiden gemeinsam ist der Wunsch, Zugang zur bestmöglichen medizinischen Versorgung zu schaffen und die Lebensqualität der Menschen zu verbessern.


Catherine Chuchylina © Luiza Puiu
Weltweit
„In der Reihe Dialog mit dem Altern' haben wir in die Apotheke zu einer Ausstellung des Fotografen Willi Puchner geladen, der die beeindruckende Fotoserie ,Die Über-80-Jährigen' gemacht hat“, berichtet sie. „Mit einer Seniorengruppe waren wir bei der Schauspielerin Erni Mangold im Theater zu Gast.“ Eine Apotheke sei „primär zwar kein Ort für Kultur, aber ein Ort der Begegnung", meint Schlagintweit, die zugibt, dass die Apotheke auch wirtschaftlich davon profitiere. „Mit der auffälligen Gestaltung der Löwenapotheke schafften wir es sogar in Architektur-Fachzeitschriften.“ ,Nie wieder bieder' oder Aspern leuchtet' lauteten die Titel von zwei Zeitungsartikeln. Im Rahmen ihres Kulturprogramms ,Denkraum Donaustadt' wurden mittlerweile hunderte Veranstaltungen durchgeführt, die sich alle mit Gesundheitsthemen in Verbindung mit Kunstprojekten beschäftigen. Schlagintweit: „Mein mittlerweile pensionierter Mann und ich sind eben sehr kulturinteressiert.“
Das allgemeine Kulturangebot in der Seestadt habe sich im Laufe der Jahre stark entwickelt, wohl auch der Tatsache geschuldet, dass die Innenstadt von Wien nicht gleich um die Ecke liege. Schlagintweit selbst möchte sich in Zukunft als Kulturschaffende ein wenig zurücknehmen: „Wir werden weiterhin Theateraufführungen für Kinder und Familien veranstalten. Ansonsten bin ich viel in der Seestadt Apotheke beschäftigt, wo ich mich um die Buchhaltung und Marketing kümmere.“ Außerdem denkt das Ehepaar Schlagintweit schon an morgen: Kürzlich wurde eine Apotheke besucht, in der ein Roboter in der Warenwirtschaft seinen Dienst versieht und die elektronische Preisauszeichnung eingeführt wurde. Digitalisierung, ein Zukunftsprojekt der Seestadt Apotheke.
Ist für Catherine Chuchylina das Betätigungsfeld für ihre medizinischen Aktivitäten die ganze Welt, zählt für Sylvia Schlagintweit vor allem der Mikrokosmos Aspern. Dabei beschränken sich ihre Aktivitäten nicht nur auf Kinder und Jugendliche. Auch ältere Mitbürger*innen stehen im Fokus.