Auf KulTOUR in der Seestadt
Wie kann man Menschen motivieren, das kulturelle Angebot ihres Stadtteils zu nutzen? Darüber diskutieren Lisa Kerlin vom Volkstheater und Studienautor am Sora-Institut Daniel Schönherr.

Das Volkstheater hat es nicht leicht in der Seestadt, erzählt Lisa Kerlin – und meint das als Kompliment: „Die Seestädter brauchen uns eigentlich nicht.“ Kerlin ist Leiterin des „Volkstheater in den Bezirken“ und zeichnet das Bild einer bunten, interessierten Community: „Sie haben aus sich heraus bereits ein sehr aktives, eigenes Kulturprogramm. Es gibt Initiativen, es gibt eine tolle Bücherei und noch so viel mehr.“ Und tatsächlich, wenn man sich das Programm der Kulturgarage ansieht, dann lädt die Vienna Lakeside Music Academy – mittlerweile angewachsen auf 40 „Sangesmutige“ – zu Konzerten; Theater, Kabarett, Ausstellungen wechseln einander ab. Im Eventkalender der Seestadt findet man geführte Spaziergänge durch die Skulpturenallee, Lesungen, Events im Community Café YellaYella, interkulturelle Festivals, alles ist vertreten. Daniel Schönherr, Autor der Sora-Studie „Kulturelle Beteiligung in Österreich“, sieht das als gute Grundlage für das Volkstheater: „Ich habe ein bisschen hineingeschnuppert und gesehen, dass hier auch viel in einem erweiterten Kulturbegriff stattfindet, nicht nur im Sinne von Theater oder Museum – hier fallen ja auch Freizeitangebote, Sport und ähnliches hinein. Für eine Institution wie das Volkstheater sind das, glaube ich, wunderbare Voraussetzungen: Man findet ein selbstorganisiertes Feld vor, in das man sich einbetten, an das man anschließen kann. Es ist ein Boden, auf den man aufbauen kann.“ Ein guter Boden – und ein gutes Haus. Auch Kerlin spricht mit Freude von der Kulturgarage: „Weil wir es mit einer neuen Spielstätte zu tun haben, in der wir gerne noch sehr lange sein wollen, weil es einerseits auch eine VHS ist, was in unserer politischen Ausrichtung viel Sinn macht. Und weil sie einfach super funktioniert, weil wir alle Mittel haben. Unsere Techniker freuen sich, wenn sie dort reinkommen, die Schauspieler freuen sich über die schöne Bühne.“ Auch das sei einer der Gründe, warum die Kulturgarage als Bühne für das 70-Jahr-Jubiläum der Institution diente.
Theater, das das Leben spielt
Eine Ansicht, die der Rabenhof teilt – denn auch das „Rabenhof-Feeling in den Bezirken“ kann man in der Kulturgarage erspüren. Wegen des großen Zuspruchs wurde verlängert. „Wir Staatskünstler“, Andreas Vitásek als der ikonische „Herr Karl“ oder auch das Kulttrio Maschek stehen heuer auf dem Programm – kurz: „Highlights aus dem Gemeindebautheater der Herzen“. Und schöner hätte man auch die beste Voraussetzung für kulturelle Beteiligung kaum zusammenfassen können, denn genau das wolle man sehen: „Theater, das etwas mit mir, meiner Realität, meinem Leben zu tun hat.“ Zusätzlich dazu brauche es auch etwas, das Schönherr als „ästhetisches Vorwissen“ bezeichnet. Gerade, wenn man nicht mit einem entsprechenden kulturellen Angebot aufgewachsen und deshalb damit vertraut sei, sei eine der größten Hemmschwellen, so Schönherr, „die Befürchtung, dass dort etwas passiert, das ich nicht verstehe, das mich langweilen könnte, weil ich damit nichts anfangen kann.“ Das beginne beim Gebäude selbst, reiche aber bis zum Ablauf und natürlich dem gegebenen Stück selbst. Im Zuge der Studie wurden auch die Gründe abgefragt, warum Menschen das kulturelle Angebot nicht oder nur wenig nutzen würden. Oftmals sei der Preis als Grund angegeben worden, das sei aber mit Vorsicht zu genießen, erklärt Schönherr:
„Viele jener, die den Preis als Grund genannt haben, haben auch eingeräumt, dass sie zu wenig Einblick haben darin, was verschiedene Kulturangebote kosten würden. Insofern glaube ich, dass der Preis oftmals vorgeschoben wird, damit man diese Angst nicht zugeben muss, dass man sich fehl am Platz fühlen könnte.“ Das Überwinden der Hemmschwelle sei auch eine der wesentlichen Ideen des Volkstheaters in den Bezirken, mit dem man eben Locations wie die Kulturgarage der Seestadt bespielt: „Es soll ein Rahmen sein, wo man sich wohlfühlt, wo man auch in der Jeans hingehen kann“, so Kerlin. Ein kulturelles Angebot braucht also eine persönliche Grundlage, auf der es aufbauen kann. Und diese wird oft buchstäblich in die Wiege gelegt, erklärt Schönherr: „In der Studie haben wir bewusst auch einen Fokus auf jene gelegt, die beginnen, sich am kulturellen Angebot zu beteiligen oder ihre Beteiligung ausgeweitet haben – je nach Sparte sind das immerhin zwischen zehn und 13 Prozent. Diese Menschen sind zumeist jünger, höher qualifiziert und entsprechen im Wesentlichen dem traditionellen Kulturpublikum. Mit Mitte dreißig stellen viele ihre Kulturbesuche dann wieder ein oder reduzieren sie – mit einer Ausnahme: Akademiker-Eltern. Die machen ganz normal weiter mit ihren Kindern, gehen ins Kindertheater, in Museen – und so vererbt sich dann das, was wir kulturelles Kapital nennen, natürlich von den Eltern auf die Kinder. Genauso wie sich Vermögen vererbt.“ Dazu ein kleiner Hinweis am Rande: Eltern der Seestadt dürfen sich in der kommenden Spielzeit des Volkstheaters in den Bezirken auf den „kleinen Prinzen“ freuen.
Selbst ist der Künstler
Kultur im eigenen Leben, das kann viele Formen annehmen – wie steht es um die eigene kulturelle oder künstlerische Tätigkeit? Wir kennen es aus dem Sport: jene, die selbst Tennis spielen, sind meist gut informiert über Weltranglisten, Rekordhalter, sehen sich vielleicht ein Match an. Gehen Musiker eher ins Konzert? „Das haben wir in der Studie nicht abgefragt, also kann ich nur eine Einschätzung abgeben“, schränkt Schönherr ein, „aber dass es da einen starken Zusammenhang gibt, das ist nachvollziehbar. Ich bin mir relativ sicher, dass eigene künstlerische Aktivitäten, in welchem Ausmaß und in welcher Art auch immer, natürlich auch die kulturelle Beteiligung in Form des Besuchs von Einrichtungen oder Veranstaltungen fördert.“ Es könnte der Seestadt also durchaus zum Vorteil gereichen, dass der Stadtteil schon gut ausgestattet mit Angeboten für eigene Aktivität ist:

Dirk Stermann – Zusammenbraut © ngo Pertramer/ Rabenhof
Im Musikquartier können (Hobby-)Pianisten Proberäume, ausgestattet mit Flügel, Piano oder beidem ab vier Euro pro Stunde mieten. Zusätzlich steht der See Saal samt Bechstein-Konzertflügel und Platz für 50 Personen zur Verfügung. Buchung, Zahlung und Aufschließen der Räume erfolgt per Smartphone. Auch die Tanz- und Performance-Szene Wiens findet hier einen Standort: organisiert von Impulstanz können in den Seestadt-Studios Räume für „Proben, Residencies und zur Umsetzung individueller künstlerischer Projekte“ angemietet werden, wie es heißt. Denn eines ist klar – und dafür braucht es wohl keine Studie – im Mittelpunkt der Kultur steht immer noch der Mensch.