Zwei Teams starten durch
Von der Modifizierung menschlicher Gene bis zum Recycling von PET-Abfällen – Jungunternehmer erfinden heute Techniken für morgen.

Der Gewerbehof und das Technologiezentrum Seestadt: Das sind zwei neue Hotspots der Wiener Start-up-Szene, beide errichtet und betrieben von der Wirtschaftsagentur Wien, beide gelegen in aspern Seestadt. In den noch jungen Gewerbehof sind schon sieben Firmen eingezogen, speziell aus dem Produktionsbereich, die hier ideale Bedingungen mit besonders variablen Nutzungsbedingungen vorfinden.
Ein paar Hundert Meter weiter, die Sonnenallee hinauf, liegt das Technologiezentrum Seestadt mit 13.000 Quadratmetern Mietflächen in zwei Bauteilen. Diese sind bereits zu 90 Prozent vergeben, ein drittes Objekt ist schon in Bau. Dort haben sich Unternehmen, Forschungs- und Entwicklungs-Hubs (etwa die Pilotfabrik für Industrie 4.0 oder Manufacturing-Schwerpunkt des European Institute of Technology) angesiedelt – und außerdem zehn technologieaffine und forschende Start-ups, eines davon die Firma nagene. Ihr erklärtes Ziel: nichts weniger, als das Feld der Gensynthese zu revolutionieren.

Erfolgsmodell. Die Geschäftsidee der drei Gründer von nagene, modifizierte körpereigene Gene zu produzieren, stößt auch bei ausländischen Investoren auf großes Interesse. nagene.at
© Luiza Puiu
Großes Interesse
Ein Start-up und eine Idee, die riesiges Interesse bei Investoren und internationalen Biotech-Giganten hervorruft: Das Team um die drei Gründer Natascha Vujicic, Florian Höfig und Alexander Makula hat Anfang Juni die Produktion von modifizierten Genen im Technologiezentrum nach langer und intensiver Vorarbeit gestartet. „Speziell auf Krebs bezogen gibt es klinische Studien, bei denen durch die Injektion von modifizierten körpereigenen Genen das Immunsystem angeregt wird, den Krebs zu bekämpfen. Hier laufen bereits erste klinische Studien von Pharma-Unternehmen“, erklärt Alexander Makula. Das Besondere liegt in einem optimierten Verfahren von nagene, das den Produktionszeitraum für modifizierte Gene massiv verkürzt und einzigartige Qualitätsstandards schafft. Das Start-up strebt an, das erste Gensynthese-Unternehmen zu werden, das ein GMP-Zertifikat (Good Manufacturing Practice, Anm.) erhält. „Die Gensynthese ist nur ein Schritt bei der Herstellung von Medikamenten, die auf modifizierten körpereigenen Genen beruhen. Es ist essenziell, dass alle Bestandteile auf GMP-Niveau erzeugt werden“, betont Makula.
Ziel GMP-Zertifikat
Im Juni hat nagene die Produktion aufgenommen. Das Ziel: bis zum Jahr 2026 das GMP-Zertifikat zu erhalten. Noch im Jahr 2024 sollen ISO-Zertifizierungen (9001 und 13485) folgen, die als Vorstufe von GMP gelten. „Unser gesamter Prozess wird bereits jetzt GMP-like durchgeführt. Das bedeutet, wir erfüllen fast alle GMP-Anforderungen, auch wenn wir das Zertifikat noch nicht haben“, führt Makula aus. Das umfasst strenge Kontrollen von Lieferanten, SOPs (Standard Operating Procederes), Qualifizierungen und Validierungen. Nach Angaben des Unternehmens ist das Verfahren so revolutionär, dass internationale Biotech-Giganten großes Interesse an einer Zusammenarbeit bekundeten.
„Gensynthese lernt man nicht an der Uni, sondern in der Praxis. Hier haben wir mit Florian und seiner 13-jährigen Erfahrung ein großes Glück“, verweist Makula auf seinen Mitgründer Höfig. Bis das endgültige GMP-Zertifikat erlangt wird, legt man bei nagene großen Wert darauf, den gesamten Prozess bereits jetzt GMP-like zu gestalten. Die Geschwindigkeit (TAT – Turnaround Time) ist ebenfalls ein entscheidender Faktor in diesem komplexen Entwicklungsprozess. Denn je schneller die Gene produziert werden, desto schneller ist die Entwicklung von mRNA-Arzneimitteln möglich. „Damit tragen wir zur sicheren Bereitstellung von Arzneimitteln bei, auch wenn diese zuerst nur in klinischen Studien eingesetzt werden“, erklärt Makula.
Bereits jetzt ist eine massive Erweiterung der 150 Quadratmeter Labor- und Büroflächen auf mehr als 2000 Quadratmeter im benachbarten Technologiezentrum 3 bis Mai 2025 geplant. Ein internationales Investment von einer Million Euro kam genau zur richtigen Zeit. „Im Dezember 2023 trafen wir zufällig auf einen Investor. Nach einigen Präsentationen war das Investment fix“, erinnert sich Makula. „Damals hatten wir noch nicht einmal die Büroräume bezogen.“

Nachhaltig. Die Produkte von Fantoplast sind vielseitig einsetzbar, ob als Wandverkleidung, Tisch- oder Arbeitsplatte, gutes Gewissen inklusive. © Luiza Puiu
Plastikrecycling der neuen Art
Begonnen hat die Erfolgsstory des Start-ups im Verein „Precious Plastic Vienna“, der seit 2018 im Wiener WUK beheimatet ist. Doch die fünf gleichberechtigten Gründer von Fantoplast, allesamt auch Geschäftsführer, wollten mehr. „Wir haben uns entschieden, mit dem Material PET-G zu arbeiten, das dem von PET-Flaschen sehr ähnlich ist, aber meist für industrielle Zwecke genutzt wird“, erklärt Alessia Scuderi, eine der „Fantoplastischen Fünf“. „Das Material beziehen wir von unserem Recyclingpartner in Traiskirchen, um auch die Transportwege kurz zu halten.“ Jene PET-G-Abfälle, die später zu Fantoplast-Paneelen werden, fallen bei der Produktion von Plastikverpackungen, aber auch von Kunststoff-Scheiben für Seilbahnen an.
„Wir sind ein multidisziplinäres Team, kannten einander bereits und hatten das gemeinsame Interesse, in Sachen Nachhaltigkeit und Produktdesign etwas zu machen“, erinnert sich Scuderi an die ersten Schritte des Protagonisten-Quintetts zur eigenen Firma. Der Gründungsprozess startete bereits im Sommer 2022, bis zum Einzug in den Gewerbehof wurde getestet, geforscht und Basis-Materialkunde betrieben. Zentrale Frage: „Wie können wir von Beginn an die Materialkreisläufe schließen?“
Im Fokus stand nicht, ein riesiges Unternehmen zu schaffen.
„Wir wollten etwas Gutes tun, etwas, das uns glücklich macht.“
Alessia Scuderi
Mitbegründerin von FANTOPLAST
Unterstützt durch Förderungen der Wiener Wirtschaftsagentur und dem Austria Wirtschaftsservice entstand im Dezember 2023 die Produktionsstätte in der Seestadt. „Wir sind derzeit noch im Aufbau und volle Kanone beim Arbeiten“, freut sich Scuderi über die Entwicklung von Fantoplast. „Es ist unglaublich, dass seither bloß fünf Monate vergangen sind.“
Sauber, heiß- und kaltgepresst
„Wir wollten holistisch arbeiten und etwas anbieten, das qualitativ hochwertig und vielseitig einsetzbar ist“, erklärt Scuderi die Entscheidung, Recycling-Paneele herzustellen. „Sie sind extrem solide, haben eine lebensmittelechte, saubere Oberfläche, sind einfach zu reinigen und enthalten keine Additive.“ Die so entstandenen Paneele in unterschiedlichen Designs und Stärken eignen sich etwa für den Einsatz in Nassräumen oder als Arbeits- und Tischplatten.
„Derzeit machen wir fünf Gründer alles selbst und stehen an der Heiß- und der Kaltpresse, die eigens für uns angefertigt wurden“, schildert Scuderi. Als Zusatzleistungen werden der individuelle Zuschnitt und, ab einer größeren Stückzahl, individuelles Design angeboten. Noch ist die Produktion von Paneelen auf etwa 100 Stück pro Monat begrenzt. Sie finden sich aber schon in den Materialportfolios einiger Architekten und Designbüros – und vielleicht bald in Wohnungen, Restaurants oder Büros.