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Christian Lenoble

Veröffentlicht am 13.02.2025

Von der EVAluierung zur Zukunft der Seestadt

12.000 Menschen leben derzeit in aspern Seestadt in Wien, über 25.000 sollen es im Endausbau werden. Wie kann das gelingen, wer plant und wer steht hinter den Ideen des innovativen Stadtentwicklungsprojekts? workflow ist diesen Fragen nachgegangen und hat mit den Verantwortlichen gesprochen.

Von der EVAluierung zur Zukunft der Seestadt

Zum Dossier & Interview

Zehn Jahre ist es her, dass die ersten Bewohner in die Seestadt eingezogen sind. In den 2030er-Jahren soll eines der größten und vor allem innovativsten Stadtentwicklungsgebiete Europas komplett fertiggestellt sein. Gut 11.500 Wohneinheiten für mindestens 25.000 Bewohner werden dann ebenso errichtet sein wie Flächen für Geschäfte, Lokale, Gewerbe und Produktion, Bildung, Kultur und Sport. Mit dem Raum für rund 20.000 Arbeits- und Ausbildungsplätze wird dafür gesorgt, dass das Wohnen und Arbeiten zusammenwächst.

Die Entwicklung des neuen regionalen Zentrums in der Donaustadt erfolgt in Etappen, sprich in Quartieren. Drei davon − Pionierquartier, Seeparkquartier, Am Seebogen – gibt es schon, hier leben aktuell 12.000 Seestädter. Gut 5000 Menschen arbeiten bereits im Stadtteil. Nun laufen die Vorbereitungen für die nächsten Bauvorhaben im Seecarré am Nordwest-Ufer des Sees. Zeit für eine Zwischenbilanz. Aber es wäre nicht die Seestadt, wenn es nicht um mehr ginge: Sie will noch besser werden.

Auf dem Prüfstand

EVA – anfangs nur ein Kürzel für Evaluierung – heißt das größte interne Projekt seit der Gründung der Seestädter Entwicklungsgesellschaft Wien 3420. Es dauerte gut zwei Jahre. Die Idee dahinter: Das Erreichte einer kritischen Prüfung unterziehen, um für die kommenden Entwicklungsetappen bestmöglich gerüstet zu sein.
Gemeinsam mit einem wissenschaftlichen Beratungsteam der Urban Innovation Vienna, der Klima- und Innovationsagentur der Stadt Wien, wurde die Seestadt auf den Prüfstand gestellt, Zwischenbilanz gezogen sowie der Beschluss gefasst, ein Set an Zielfeldern samt KPIs – also Key Performance Indicators – für die weitere Entwicklung festzulegen. Der erste Schritt dazu ist getan: Der Report 2024 „EVA − Evaluierung, Zwischenbilanz und Zielsystem für aspern Seestadt“ liegt vor. Nun beschäftigt sich die Wien 3420 aber bereits mit dem nächsten Schritt, denn nach diesem Pilotmonitoring wird regelmäßig reportet, 2025 zum ersten Mal über den Großteil der KPIs.

Im Interview

Was EVA zum Gelingen des Gesamtprojekts beitragen kann, warum das Schaffen belastbarer Qualitätsdaten wichtig ist und welchen Stellenwert Teamarbeit und Imagebildung haben, erläutern im Interview die Vorstände der Wien 3420 aspern Development AG. Welche Rolle bei der Quartiersentwicklung die Abhaltung von Bauträger-Wettbewerben erfüllt und was man sich vom nächsten Quartier Seecarré erwarten darf, darüber berichten die Geschäftsführer des wohnfonds_wien.

Ohne wechselseitiges Verständnis baut man keine Stadt

Was trägt die umfassende Strategie-Evaluierung EVA zum Gelingen des Projekts „aspern Die Seestadt Wiens“ bei?

Ein Gespräch mit den Vorständen der Wien 3420 aspern Development AG, Gerhard Schuster und Robert Grüneis, und Kommunikationschefin Ingrid Spörk über kritische Blicke, belastbare Fakten und die Kunst, gemeinsam an einem Strang zu ziehen.

Was waren Ausgangslage und Beweggründe für das Evaluierungsprojekt EVA?

Gerhard Schuster: Es gab verschiedene Motivationen. Einerseits stehen wir etwa bei der Halbzeit der Entwicklung der Seestadt. Also wollten wir Rückblick und Ausschau halten und dabei analysieren: Was hat wie geplant funktioniert, wo gibt es Verbesserungspotenzial, wie machen wir weiter? Zusätzlich geht es schon auch darum, faktenbasierte Antworten auf Zuschreibungen zu geben, die einfach nicht stimmen. Das geht am besten, wenn man objektiviert, für belastbare Qualitätsbeschreibungen oder Zahlen sorgt und diese nach außen kommuniziert.

Robert Grüneis: Die Entwicklung eines ganzen Stadtteils ist ein langwieriges Projekt, bei dem sich im Laufe der Zeit Rahmenbedingungen verändern. Umso wichtiger ist es, auf den Prozess immer wieder genau hinzuschauen. Es ging uns um eine kritische Positionsbestimmung und um Transparenz gegenüber Bewohnern, Projektpartnern, Investoren und jenen Personen, die die Seestadt politisch zu vertreten haben.

Wie wichtig war es, für diese Positionsbestimmung auch externe Experten heranzuziehen?

Ingrid Spörk: Sehr wichtig, wenn man einen möglichst objektiven Blick bekommen will. Eine zentrale Säule der Strategie-Evaluierung war, neben der Marktforschung und einer sehr umfangreichen Bewohnerbefragung, ein sogenannter „Deep Dive“. Dafür wurden mehr als 100 interne wie externe Experten – und dazu zählten auch Vertreter von Seestädter Institutionen und Unternehmen – in Fokusgruppengesprächen und Einzelinterviews zu den Qualitäten der Seestadt, aber auch zu Herausforderungen und Potenzialen befragt. Gemeinsam mit einem Team der Urban Innovation Vienna, wurden die gewonnenen Informationen ausgewertet und zugleich alle Strategiekonzepte neu geprüft und reflektiert. Die vielen unterschiedlichen Blickwinkel zu sehen, war extrem spannend. Und uns wurde auch klar, dass wir vieles einfach noch nicht gut genug kommuniziert haben.
 
Stichwort kritische Prüfung. Was sind die wichtigsten Learnings aus den vergangenen Jahren?

Gerhard Schuster: Die Erkenntnis, dass gerade dann, wenn sehr viele Akteure an einem gemeinsamen Projekt arbeiten, es einen roten Faden und einen Rahmen braucht, in dem alle Beteiligten zusammenkommen und sich abstimmen können. Wir haben daher bei der Entwicklung des dritten Quartiers, „Am Seebogen“, das Format der Quartierswerkstatt ins Leben gerufen. In regelmäßig stattfindenden Veranstaltungen wird dabei der Kommunikationsfluss zwischen den verschiedenen Projektentwicklern, aber auch den beteiligten Magistratsabteilungen unterstützt und ein gemeinsames Bewusstsein für bauplatzübergreifende Zielsetzungen gefördert. Ein einfaches Konzept mit großer Wirkung.

Robert Grüneis: Wir haben gelernt, wie wir es anstellen, alle Beteiligten zu involvieren. Wechselseitiges Verständnis ist von größter Bedeutung. Die Energieversorger beispielsweise haben andere Prioritäten als die Bauträger. Aber wenn sie sich diesbezüglich austauschen, wenn man sich im Planungsprozess kontinuierlich trifft und bespricht, dann steigt die Chance, Fehler zu vermeiden und Interessenskonflikte zu zerstreuen. Die Prozessbeteiligten können so aufeinander zugehen und am Ende ein besseres Ergebnis für alle erzielen. Entscheidend ist auch, dass wir auf Basis einer klaren Strategie seitens der Stadt Wien arbeiten können. Mit der Smart City Rahmenstrategie als Startpunkt gab es von Anfang an eindeutiges Commitment von Politik und Magistratischen Dienststellen. Das Ziehen an einem Strang erleichtert zielgerichtetes Arbeiten.

Steine am Weg scheint es dennoch zu geben, am Beispiel der umstrittenen Fertigstellung der Stadtstraße mit der Anschlussstelle Ost, die aufgrund einer UVP-Auflage für die Weiterentwicklung der Seestadt im Norden notwendig ist.

Gerhard Schuster: Es ist leider schwer, gegen eine dogmatische Haltung mancher Personen anzukämpfen, die meinen, dass selbst in der Region mit dem stärksten Bevölkerungswachstum kein Meter Straße mehr gebaut werden darf. Tatsache ist, dass wir ein Minimum an zusätzlicher Straßeninfrastruktur brauchen, um die Seestadt wie geplant weiter ausbauen zu können. Die Anschlussstelle West der Stadtstraße soll ja bis Ende 2026 fertig sein, dann kann auch mit der Besiedelung des Quartiers Seecarré und einiger anderer Projekte begonnen werden. Die restlichen Bauten im Norden sind aber an die Fertigstellung der sogenannten S1-Spange und der zweiten Anschlussstelle gekoppelt.

Robert Grüneis: Ein Stadtteil ist wie ein Körper mit Hirn und Herz, aber eben auch mit Arterien und Venen für den Energiefluss in die Stadt hinein und aus der Stadt heraus, also für den Ziel- und für den Quellverkehr. Aber reden wir diesbezüglich doch lieber über alle anderen Maßnahmen in Sachen Verkehrsinfrastruktur, die wir forcieren, um den motorisierten Individualverkehr so klein wie möglich zu halten.

Die da wären?

Robert Grüneis: Die wesentlichen Bausteine unseres Mobilitätskonzepts sind die sehr gute öffentliche Verkehrsanbindung, siehe U2 und S80 und demnächst die Straßenbahnlinie 27, sowie aktive Formen der Mobilität, also Rad fahren und zu Fuß gehen. Unser angestrebter Modal Split bei der Verteilung des Nahverkehrs in der Seestadt lautet: 40 Prozent Radfahren und Gehen, 40 Prozent öffentlicher Verkehr und nur 20 Prozent Autoverkehr. Um das zu realisieren, setzen wir viele Maßnahmen, etwa die Optimierung der Citylogistik, bei der Konzepte und Ideen der TU Wien einfließen, die Zusammenarbeit mit den Wiener Linien, Car-Sharing-Angebote, Verleihsysteme für E-Bikes, Räder und E-Lastenräder oder auch die Errichtung von Sammelgaragen, um mehr öffentlichen Platz für Fußgänger und Radfahrer zu schaffen. Verkehrsbedingte Schadstoffe reduzieren wir auch mithilfe unseres Baulogistik- und Umweltmanagementkonzepts. Aushubmaterialien werden weitestgehend vor Ort zwischengelagert und wiederverwertet. Damit haben wir bis dato rund 7,5 Millionen km an LKW-Transporten eingespart, umgerechnet rund 8400 Tonnen CO2!

Gerhard Schuster: Dass die eingeschlagene Richtung stimmt, konnten wir übrigens mit EVA dokumentieren. Mit Verkehrszählungen lässt sich messen und nachweisen, dass wir bezüglich des Modal Splits und der Reduktionsziele des motorisierten Individualverkehrs ausgezeichnet liegen. Eine Zahl als Beispiel: Die niedrige Kfz-Quote von 242 Autos pro 1000 Einwohner. Mit unseren neuen KPIs drehen wir außerdem an zusätzlichen Schrauben.

Gehört zu den Zielen der Wien 3420 auch die positive Außendarstellung der Seestadt?

Ingrid Spörk: Natürlich ist das Image wichtig, um ein neues Stadtviertel weiter mit Leben zu füllen. Interessanterweise haben die Seestädter ein sehr positives Bild von ihrem Wohnort − bei der Messung der Wohnzufriedenheit waren 93 Prozent der Befragten „sehr zufrieden“ oder „zufrieden“, während Externe kritischer auf die Seestadt blicken. Ähnliches gilt für die Wirtschaftstreibenden. Je besser man also die Seestadt kennt, desto positiver nimmt man sie wahr. In diesem Sinne wollen wir Menschen in die Seestadt bringen, damit sie sich ein Bild vor Ort machen können. Und wie schon gesagt müssen wir Fakten noch besser kommunizieren, um Vorurteile abzubauen. Die Seestadt wird zum Beispiel als „zu weit außerhalb von Wien“ wahrgenommen, Fakt ist aber, dass man mit der U2 in 25 Minuten mitten in der City am Schottentor ankommt, mit der Bahn in rund 20 Minuten am Hauptbahnhof. Andere wiederum sprechen von einem hohen Grad an Versiegelung. Dem können wir konkrete Zahlen zum Grünanteil und der Zahl der gepflanzten Bäume und vor allem einen unglaublich geringen Bodenverbrauch entgegenhalten.

Robert Grüneis: Zusätzlich werden wir künftig noch mehr kulturelle, sportliche und gesellschaftliche Attraktionspunkte schaffen – man soll die Seestadt kennenlernen.

Gerhard Schuster: Womit wir wieder beim sinnstiftenden Beitrag von EVA wären. Es geht um belastbare Qualitätsbeschreibungen, um einerseits künftige Prozesse zu verbessern und andererseits ein richtiges Bild der Seestadt zu transportieren.

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