Interaktive Karte

Autor*in

Gerhard Pohl

Veröffentlicht am 13.02.2025

Aus dem Business Magazin "Workflow"

02/2025 Über das Wachsen.

unternehmen

Sinnstiftung auf 6300 Quadratmetern

10 Minuten
Mit wienwork-Geschäftsführer Christoph Parak auf Rundgang durch die Werkstätten und Lokale eines außergewöhnlichen Unternehmens, das der in der Seestadt lebenden Bevölkerung in vielerlei Hinsicht einen Mehrwert bietet.
Sinnstiftung auf 6300 Quadratmetern

Wie viele Standbeine ein einzigen Standort entwickeln kann, beweist wienwork, das 1981 als Integrativer Betrieb gegründet wurde und mit rund 800 Mitarbeitern heute der größte Arbeitgeber der Seestadt ist. Das Besondere daran: Integrative Betriebe müssen mindestens 60 Prozent Mitarbeiter beschäftigen, die Behinderungen aufweisen und die am herkömmlichen Arbeitsmarkt nicht unterkommen.

Seit den 1980er Jahren ermöglicht das Behinderteneinstellungsgesetz den Rahmen für die Gründung Integrativer Betriebe. Nach wie vor müssen Arbeitgeber davon überzeugt werden, behinderte Menschen einzustellen. Da dies zu selten geschieht, bezahlen Unternehmen eine Ausgleichstaxe, wenn ihre Quote an Arbeitnehmern mit Behinderung nicht erfüllt wird. Diese finanziert die Integrativen Betriebe, die Menschen einstellen, denen per Bescheid eine Behinderung attestiert wurde.

Freiraum. Ob Rasen mähen, vertikutieren oder pflanzen, die Landschaftsgärtner-Lehrlinge kümmern sich darum. © Carolina Frank

Drei-Säulen-Strategie

wienwork ist nicht nur ein erfolgreich am Markt agierender Integrativer Betrieb, sondern verfügt mit der Inklusiven Berufsausbildung und dem Jobmanagement über zwei weitere Säulen im Unternehmen. „Wir bilden rund 180 Lehrlinge in elf Lehrberufen in enger Verzahnung mit den Geschäftsfeldern des Integrativen Betriebs aus“, erklärt wienwork-Geschäftsführer Christoph Parak. Jugendliche mit kognitiven Einschränkungen benötigen eine Bewilligung vom Fonds Soziales Wien, um bei wienwork eine verlängerte Lehre – vier statt drei Jahre – beginnen zu können.

Nach dem Erwerb von Grundkenntnissen sind die Lehrlinge ab dem zweiten Lehrjahr in die Arbeitsprozesse voll integriert, erklärt Parak: „Sie fahren zum Beispiel mit auf Baustellen, arbeiten in der Produktion oder absolvieren ihre praktische Ausbildung im Speiseamt Seestadt.“ 
 
Dieses Selbstbedienungsrestaurant steht allen offen: Mitarbeitern und Lehrlingen des eigenen sowie benachbarter Betriebe, aber auch den Seestädtern. Tatsächlich ist es bis über die Grenzen des Stadtteils hinaus beliebt. Abgesehen von den günstigen Preisen schätzen die Gäste besonders, dass keine Convenience-Produkte verarbeitet werden, da die Lehrlinge den richtigen Umgang und die Zubereitung mit frischen Lebensmitteln erlernen. 

„Gastronomie ist das größte unserer sieben Geschäftsfelder im Integrativen Betrieb“, berichtet Parak. „Wir betreiben 15 Standorte, an denen gekocht wird. Unser größter Kunde sind die Fortuna Wohnhäuser für Pensionisten, in denen wir rund tausend Pensionisten täglich kulinarisch verwöhnen.“

Aus einer Hand. Die Hochbau-Profis helfen beim Malen, Fliesenlegen, Mauern und Renovieren. © Carolina Frank

Imposante Werkshalle

Die meisten wienwork-Geschäftsfelder in der Seestadt sind in einer 6300 Quadratmeter großen Werkshalle angesiedelt, die 2015 eröffnet wurde. Davor waren sie an verschiedenen Standorten in Wien verteilt, was problematisch war, da die Werkstätten mitunter in Gründerzeithäusern untergebracht waren, die nicht barrierefrei waren. Seit 2017 befindet sich auch die wienwork-Unternehmenszentrale in der Seestadt. Die Werkshallen sind rund um einen geräumigen Hof angeordnet, der nicht nur als Parkplatz für die rund 40 eigenen Betriebsfahrzeuge dient, sondern zum Teil auch gärtnerisch gestaltet ist. Dafür sorgen Landschaftsgärtner-Lehrlinge unter der Leitung von René Eichhardt. Der gebürtige Berliner kam vor 13 Jahren aus Abenteuerlust nach Wien, seit acht Jahren arbeitet er nun für wienwork.

Die Berufsausbildung der Tischler wird von Tomislav Grieb-Jambrovic geleitet, der auf 14 Jahre Firmenzugehörigkeit zurückblickt. Durch erfolgreiche Tätigkeit am Markt verfügt der Betrieb mittlerweile über einen modernen Maschinenpark, der anspruchsvolle Tätigkeiten wie Kantenumleimen automatisch erledigt. „Wir produzieren hier rund 400 Küchen pro Jahr, 300 davon für Kindergärten und verschiedene Magistratsabteilungen der Stadt Wien“, freut sich Geschäftsführer Christoph Parak. „Das machen wir bereits seit 2012. Für unsere Arbeit verlangen wir marktübliche Preise, sonst würden wir in Konflikt mit der gewerblichen Wirtschaft kommen.“ In vielen Bereichen ist wienwork an Ausschreibungen erfolgreich beteiligt. Im Geschäftsfeld Digital Media werden beispielsweise fälschungssichere Scheckkarten-Ausweise wie Behindertenpässe für ganz Österreich produziert.

© Carolina Frank

Adäquate Löhne

Man merkt bei einem Rundgang durch das Firmengelände, dass wienwork wie ein herkömmliches Unternehmen agiert, nur eben mit dem Unterschied, dass 70 Prozent der Mitarbeiter Behinderungen haben. Parak: „Die zentrale Aufgabe als Integrativer Betrieb ist es, Menschen mit Behinderungen zu beschäftigen und deren Teilhabe an der Gesellschaft zu ermöglichen. Dafür zahlen wir adäquate Löhne und Gehälter, um deren Existenzsicherung zu ermöglichen.“ Parak selbst war bis vor zweieinhalb Jahren im arbeitsmarktpolitischen Bereich tätig und leitete einen Dachverband. Daher kennt er die Aufgabenstellungen generell und konnte sich schon vorab ein Bild von den Herausforderungen bei wienwork machen.

In der Hochbau-Werkstätte erlernen Lehrlinge das Maurerhandwerk seit sieben Jahren von Manfred Binder mit der Besonderheit, dass beim Aufmauern einer Wand interessanterweise kein Zement verwendet wird. „Weil der Mörtel sich so nicht verfestigt, können wir das Material wieder abreiben und immer wieder einsetzen“, erläutert Binder.

Im auf der gegenüberliegenden Seite liegenden langgestreckten Gebäude befindet sich die Textilreinigung und das Bügel- und Nähservice. Mitarbeiter des Integrativen Betriebs und Lehrlinge vom Team der Ausbildungsbeauftragten Elisabeth Böhm arbeiten hier gemeinsam in strahlend weißer Berufsbekleidung, um zum Beispiel Hotels oder Rettungsorganisationen mit hygienisch sauberer Wäsche zu versorgen. Nach einer erfolgreichen Lehrabschlussprüfung werden die wienwork-Absolventen in der Regel auf einen externen Arbeitsplatz vermittelt. Für ein gutes Gelingen setzt sich ein multidisziplinäres Team, inklusive Fachpädagogik, Sozialarbeit und psychologischer Beratung ein.

Einzigartiger Integrativer Betrieb

In Bezug auf Größe und Vielfalt ist wienwork einzigartig unter den acht Integrativen Betrieben in Österreich. Die übrigen sind stark an der Industrie orientiert und bieten Ausbildung und Arbeitsplätze in der Elektrotechnik, Metall- oder Holzfertigung. wienwork ist mehr im Dienstleistungssektor engagiert. „Im Bereich Jobmanagement sind wir zurzeit in sieben Projekten involviert, die zu hundert Prozent gefördert werden“, berichtet Parak. „Fünf dieser Beratungsprojekte sind auf eine junge Zielgruppe abgestimmt. Etwa um Jugendliche im 21. und 22. Bezirk zu beraten und berufliche Perspektiven zu finden. Hier wird mit Schulen und Eltern zusammengearbeitet, weil es eine Ausbildungspflicht bis zum 18. Lebensjahr gibt.“

© Carolina Frank

wienwork ist heute ein nicht mehr wegzudenkender Bestandteil der Seestadt. Parak: „Wir betreiben beispielsweise eine Postpartnerfiliale. Als größter Arbeitgeber vor Ort unterstützen wir auch den Ausbau der Seestadt. So freuen wir uns, wenn das Pharmaunternehmen Takeda hier eine Forschungsstätte für seltene Krankheiten errichtet und der seit Jahren ansässige Betrieb von Hoerbiger nun überlegt, mehr Menschen mit Behinderungen zu beschäftigen.“ Da erfülle wienwork eine missionarische Tätigkeit für die öffentliche Hand.

# Weitere Stories lesen

Eine Kommode mit Formen aus dem 3D-Drucker mit der Gravur Incus darauf, im Hintergrund ein White Board mit www.incus3d.com
© EIT Manufacturing
unternehmen | Success Stories

Incus: Schicht für Schicht zur 3D-Metalldruck-Revolution

Das Spin-off des 3D-Druck-Pioniers Lithoz erobert mit seinem innovativen Ansatz im lithografiebasierten Metalldruck das Technologiezentrum Seestadt.

Unternehmen des Monats: WOHN-DIMENSION
unternehmen

Unternehmen des Monats: WOHN-DIMENSION

In der Seestadt trifft Handwerk auf Design! Wohn-Dimension bietet maßgeschneiderte Wohn- und Küchenlösungen – von der ersten Idee bis zum fertigen Möbelstück, alles aus einer Hand.

Vier Männer und eine Frau stehen in einem Garten vor einer Wand und halten farbige kreisförmige Paneelen in der Hand
© FANTOPLAST
unternehmen | Success Stories

FANTOPLAST: Design und Kreislaufwirtschaft erobern den Gewerbehof!

FANTOPLAST Circular Design zeigt, wie Kunststoffabfälle zur Ressource werden. Aus regionalem Plastik entstehen im Gewerbehof Seestadt Paneele für Design und Architektur.

Zwei Männer schauen in die Kamera, es sind nur der Oberkörper und das Gesicht zu sehen
© Wirtschaftsagentur Wien / cornucopia
unternehmen | Success Stories

Sheyn. Schönes Design aus dem 3D-Drucker

Sheyn steht für innovatives Design aus Wien. Architektur inspirierte Wohnaccessoires werden lokal im 3D-Druck gefertigt und finden international Anklang. Aus einem Wohnzimmerprojekt ist ein erfolgreiches Studio gewachsen, das nun sein neues Hauptquartier im Gewerbehof Seestadt hat.

In den Medien: Die Seestadt als internationales Vorbild klimafitter Stadtentwicklung
Stadtentwicklung | leben | unternehmen | wohnen

In den Medien: Die Seestadt als internationales Vorbild klimafitter Stadtentwicklung

Ob Kreislaufwirtschaft auf der Baustelle, CO₂-neutrale Energieversorgung oder leistbarer Wohnraum: Die Seestadt hat schon etliche erfolgreiche Strategien zur klimafitten Stadtentwicklung!

Unternehmen Gesundheit
2025 Innen:Stadt | unternehmen | Success Stories

Unternehmen Gesundheit

Zwei engagierte Frauen, deren Lebensweg unterschiedlicher nicht sein kann, fühlen sich in der Seestadt den Anforderungen der WHO-Gesundheitsdefinition verpflichtet.

Gleichberechtigung von Kindesbeinen an
2025 Innen:Stadt | unternehmen

Gleichberechtigung von Kindesbeinen an

Lil-y am See und PIER05 sind die Aushängeschilder an der zukünftigen Waterfront der Seestadt. workflow sprach mit zwei treibenden Kräften hinter diesen riesigen Immobilienprojekten, der Geschäftsführerin Ingrid Soulier und der Projektleiterin Andrea Gödel.

Energiewende in Kinderschuhen
leben | 2025 Innen:Stadt | Bildung | unternehmen

Energiewende in Kinderschuhen

Mit der Initiative Let's Netz werden Kinder und Jugendliche praxisorientiert und spielerisch an die Themen Strom, Energieversorgung und Nachhaltigkeit herangeführt. Ein besonderer Fokus liegt darauf, auch Mädchen und junge Frauen für technische Berufe zu interessieren.

Stolze Namen, starke Frauen: Seestadt setzt Zeichen
2025 Innen:Stadt | unternehmen

Stolze Namen, starke Frauen: Seestadt setzt Zeichen

Stellen Sie sich vor, unsere Städte erzählen Geschichten – doch die (Erfolgs-)Geschichten von Frauen bleiben oft unsichtbar. Nicht so in der Seestadt: Hier setzen Straßenbenennungen nach bedeutenden Frauen ein starkes Zeichen für Gleichstellung und Erinnerung.

Das neue workflow ist da!
leben | unternehmen

Das neue workflow ist da!

In der neuen Ausgabe des Business-Magazin „workflow“ stehen starke Frauen im Mittelpunkt.