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Die Werkstatt für die Stadtentwicklung

Das Seecarré setzt neue Maßstäbe: Robert Grüneis (Wien 3420) und Klaus Wenger-Oehn (ÖVW) sind überzeugt, dass eine Energiequartierslösung vor allem den späteren Bewohnern viele Vorteile bringen wird.

Die Werkstatt für die Stadtentwicklung

aspern Seestadt wächst kontinuierlich – Quartier für Quartier. Um besser bauplatz- übergreifend und kooperativ planen zu können, hat die Seestädter Entwicklungsgesellschaft Wien 3420 aspern Development AG die sogenannte Quartierswerkstatt ins Leben gerufen. Dieses Instrument hat sich bei den Quartieren Seebogen und Seeterrassen bereits bewährt und kommt nun auch für das Seecarré zum Einsatz, das aktuell im Nordwesten des Sees geplant wird. Es umfasst insgesamt acht Baufelder – zwei davon sind im Besitz des Wohnbauunternehmens ÖVW (Österreichisches Volkswohnungswerk Gemeinnützige GmbH). Im Expertengespräch erklären Robert Grüneis, Vorstand der Wien 3420 aspern Development AG, und Klaus Wenger-Oehn, Geschäftsführer des ÖVW-Bauträgers und Prokurist des ÖVW, welche Erwartungen sie an die Quartierswerkstatt haben und warum sie so große Hoffnungen in die angestrebte gemeinsame Energiequartierslösung setzen.

Herr Grüneis, geben Sie uns einen Überblick über das geplante Seecarré in der Seestadt.
Grüneis: Im Zuge dieser Quartiersentwicklung entstehen rund 1500 neue Wohnungen. Unser Ziel ist, gemeinsam mit den Bauträgern bei diesem Projekt Innovationen im Grünraum, im öffentlichen Raum und im Energiebereich zu setzen. Das setzt eine Zusammenarbeit voraus, bei der alle Beteiligten an einem Strang ziehen.

Wie sieht das konkret beim Thema Energie aus?
Grüneis: Ausgegangen sind wir von der Frage, ob wirklich jedes neue Gebäude eine eigene Energieversorgung benötigt oder ob es nicht sinnvoller ist, wenn sich alle Beteiligten zusammensetzen und Energiequellen erschließen, die dann gemeinsam genutzt werden können. Unsere Vision stieß bei den meisten Bauträgern auf positives Echo, aber es braucht natürlich auch Partner, die beispielgebend vorangehen. Das ÖVW ist hier ein Zugpferd, das unsere Idee von Beginn an aktiv mitgetragen hat.
 
Wieso schreitet das ÖVW bei diesem Projekt federführend voran?
Wenger-Oehn: Uns ist nachhaltiges Wirtschaften und gemeinsames Arbeiten ein großes Anliegen. Das zeigt sich etwa an unserer Philosophie, dass wir bei unseren Projekten weitgehend auf Abschottungen und Zäune verzichten. Stattdessen forcieren wir Gemeinschaftsbereiche, um Begegnungszonen zu schaffen und das Zusammenleben zu fördern. Auch für uns ist das Seecarré ein herausforderndes Projekt, aber wir sehen das Potenzial in der Zusammenarbeit aller Beteiligten für die Quartiersentwicklung. Wir wollten unbedingt den ersten  Schritt setzen, weil wir die ersten Bauträger sind, die bei dieser Quartiersentwicklung in die Umsetzung gehen. Unser Wunschbaubeginn ist Anfang 2026. Natürlich ist uns bewusst, dass diese Form der Energiegemeinschaft für alle Beteiligten einen großen Koordinationsaufwand bedeutet.

Ist der Aufwand größer als etwa bei anderen Quartiersentwicklungsprojekten?
Wenger-Oehn: Der Aufwand ist größer, weil die Umsetzung der einzelnen Projekte dieser Quartiersentwicklung in unterschiedlichen Zeitschienen stattfindet. Normalerweise werden solche Projektvolumen zeitgleich umgesetzt. Wenn alle Bauträger parallel starten, ist es einfacher, eine gemein- same Infrastruktur herzustellen, aber bei diesem Projekt klaffen die einzelnen Baubeginne deutlich auseinander und das erschwert die Koordination.

Bringt die Umsetzung in unterschiedlichen Zeitschienen auf der anderen Seite auch Vorteile?
Wenger-Oehn: Durchaus, denn wenn das Areal langsam wächst, dann überschneiden sich die Bautätigkeiten nicht. Zudem können die nachfolgenden Projekte von der geschaffenen Infrastruktur profitieren. Jedoch muss stets darauf geachtet werden, dass die übergeordnete Planung nicht mit einem fixen Stand eingefroren wird. Es muss eine gewisse Flexibilität bei der Anpassung in den unterschiedlichen Entwicklungsstufen gewährleistet sein.

Wie kann es gelingen, bei diesem Projekt die bestmögliche Zusammenarbeit zu erzielen?
Grüneis: In der Seestadt haben wir die „Quartierswerkstatt“ installiert. Dieses Instrument eignet sich optimal, um gemeinsam einen Blick auf das große Ganze zu werfen. Das beginnt bei der Energieversorgung und geht über den Grünraum bis hin zur Nutzung des öffentlichen Raums. Das ist selbstverständlich eine große Herausforderung, weil jeder einzelne Partner mit durchaus berechtigten Interessen an den Start geht.

„In der Quartierswerkstatt treffen sich die Entscheidungsträger und sind alle auf Augenhöhe. Jeder Einzelne bringt sich mit individueller Expertise ein. Durch die Quartierswerkstatt können die einzelnen Teilnehmer über den Tellerrand ihrer Projekte blicken. Jeder profitiert vom Know-how der anderen.“

Robert Grüneis

Robert Grüneis

Vorstand der Wien 3420

Welche Expertise bringt hier zum Beispiel Wien 3420 ein?
Grüneis: Wir generieren die unterschiedlichsten Daten, strukturieren und analysieren sie. Daraus lassen sich Schlüsse ziehen. Zum Beispiel, um eine realistische Klimasimulation zu erstellen. Aus den Erkenntnissen können wir auch neue Standards generieren, wie zum Beispiel „aspern klimafit“, ein neuer Gebäudestandard der Seestadt.

Wie wirkt die Quartierswerkstatt aus Sicht des ÖVW?
Wenger-Oehn: Mit der Quartierswerkstatt wurde ein ausgezeichnetes Format entwickelt, bei dem sich die Entscheidungsträger in regelmäßigen Abständen zusammenfinden, sich austauschen und miteinander diskutieren. Es werden im Sinne eines Projektmanagements die Themen vorgegeben und somit die Möglichkeit für Diskussion, Austausch, Zusammenarbeit und Weiterentwicklung geschaffen. Die Quartierswerkstatt ist organisatorisch für die Bauträger extrem praktisch. Das kann ich aus Erfahrung sagen, denn wir beteiligen uns bei zahlreichen Projekten und Quartieren – und bei den meisten müssen sich die Bauträger selbst organisieren. Das bedeutet, dass man im Vorfeld viel Energie aufbringen muss, um sich in Arbeitsgemeinschaften zusammenzufinden und ein Prozedere zu entwickeln, um sich abzustimmen. All das ist in der Quartierswerkstatt bereits vorweggenommen und wird durch die Wien 3420 professionell organisiert und in die richtigen Kanäle gelenkt. Das vereinfacht die Zusammen- arbeit sehr. Das Prozedere stellt sicher, dass sich die Entscheidungsträger der aktuellen Entwicklungen und Problemstellungen bewusst sind und lösungsorientiert agieren.

Worin sehen Sie das Geheimnis des Erfolges der Quartierswerkstatt?
Grüneis: Durch sie erhalten alle Teilnehmenden ein Verständnis, welche Themen und Probleme die unter- schiedlichen Partner bewegt und wo sich die Drucksituationen befinden. Dadurch wird jede einzelne Partei kompromissbereiter, weil die gemeinsamen Ziele sichtbar werden. Jeder Beteiligte erkennt, was die Besonderheit des neuen Stadtteils ausmacht. Erst wenn die Bereitschaft aller Akteure gegeben ist, ein gemeinsames Ziel zu verfolgen, entsteht der Raum, um inhaltlich etwas zu verändern.

Ein wesentliches Ziel der Quartierswerkstatt ist das gemeinsame Energiesystem im neuen Quartier. Warum ist eine Energiequartierslösung so wichtig?
Grüneis: Der Klimawandel und die knapper werdenden Ressourcen zwingen uns zu nachhaltigen Energielösungen. Nachhaltiges Wirtschaften bedingt eine gemeinsame Nutzung. Schließlich sagt uns der Hausverstand, dass zum Beispiel die gemeinsame Nutzung einer Freifläche nachhaltiger ist als viele kleine Eigengärten. Aber je mehr Akteure an einem Projekt beteiligt sind, desto mehr Kompromisse sind einzugehen, und das bedeutet, dass der gemeinsame Abstimmungsbedarf wächst.

Hatte das ÖVW bei diesem Projekt von Anfang an ein gemeinsames Energiesystem zum Ziel?
Wenger-Oehn: Ursprünglich sind wir von Einzellösungen ausgegangen. Unsere beiden Baufelder liegen nebenein- ander. Hier kam uns rasch der Gedanke, beide Bauplätze zusammenzufassen und nachhaltige Energiequellen zu nutzen. In den weiterlaufenden Gesprächen mit Partnern – vor allem auch in der Beratung mit unserem Energiepartner – wurde jedoch der Gedanke der „shared economy“ immer größer und wir sind von den Insellösungen abgekommen. Mittlerweile sind wir fest davon überzeugt, dass eine Energiequartierslösung die besten Synergien erzielen kann. Zum Beispiel Skaleneffekte bei Investitionen. Es lassen sich viele Kosten und Ressourcen einsparen, wenn man gemeinsam Bohrungen durchführt oder Brunnen ausführt. Zudem erlaubt eine Energiequartierslösung eine höhere Flexibilität bei Nutzungsänderungen – bis hin zu architektonischen Vorteilen, wenn sich etwa Anlagen teilen lassen.

Sind neben dem ÖVW auch die anderen Partner und Bauträger von der Energiequartierslösung überzeugt?
Grüneis: Es gibt durchaus auch kritische Punkte. Vor allem die Verständigung auf einen gemeinsamen Konzipienten der Energielösungen. Da wir aber in der Quartierswerkstatt alle Themen, Probleme, Bedenken und Lösungsvorschläge auf den Tisch legen, kommt eine offene Diskussion zustande und es zeigt sich, wann Kritik berechtigt ist und wann nicht. Ich glaube, auf diese Art und Weise gelingt es uns sehr gut, Transparenz und damit auch Vertrauen der einzelnen Beteiligten zu schaffen. So sind die Zweifel an den Energielösungs-Konzipienten zum Beispiel abgeflacht, weil offen kommuniziert wird, dass die Planer der Energiesysteme nicht automatisch auch die Umsetzer dieser Konzepte sein müssen. Das führt dazu, dass das sinnvollste Konzept in den Mittelpunkt rückt.

Für welche Energiequartierslösung hat man sich entschieden?
Grüneis: Die Frage der Energielösung ist noch ergebnisoffen. Gegenwärtig werden noch die unterschiedlichen Lösungen vorgestellt, analysiert und diskutiert. Ein finales Ergebnis wird es Mitte nächsten Jahres geben, rechtzeitig vor Baubeginn des ersten Projektes.

Welche Lösungen werden aktuell angedacht bzw. besprochen?
Wenger-Oehn: Ein großes Thema sind Tiefensonden und Grundwassernutzungen sowie das Zusammenspiel mit PV-Anlagen. Wir haben eine Brunnennutzung untersucht, die deutlich ökonomischer und nachhaltiger ist, wenn sie für alle Bauplätze der Quartiersentwicklung Verwendung findet. Einzelbrunnen würden den Grundwasserstrom überlasten und unbefriedigende Ergebnisse erzielen, da mit Wechselwirkungen zu rechnen wäre, die manche Nutzer bevorzugen und andere benachteiligen würden. Auch hier zeigt sich, dass eine nachhaltige Umsetzung die Zusammenarbeit aller Beteiligten voraussetzt. Wir planen ein System, bei dem jederzeit neue Partner oder Projekte hinzugenommen werden können bzw. wo sich kontinuierlich Optimierungen erzielen lassen. Darum denken wir auch aktuell darüber nach, wie sich eine Hochgarage als Wärmetauscher verwenden und ins System integrieren lässt.

Wen holt man für eine optimale Energiequartierslösung neben den Bauträgern ins Boot?
Grüneis: Wir laden die kompetentesten Partner ein, um so genau wie möglich alle Faktoren zu berücksichtigen und mitzudenken. Unter anderem können wir auf das Know- how von Aspern Smart City Research (ASCR) setzen, die zum Beispiel genau analysieren, welchen Energiebedarf das Quartier hat. Natürlich stimmen wir uns auch mit den Energieversorgern ab und sind zum Beispiel mit Wiener Netze permanent in Kontakt, um auch zukünftig ein optimales Stromnetz in der Seestadt garantieren zu können.

 

Spielt bei der Energiequartierslösung der wirtschaftliche Faktor eine untergeordnete Rolle?
Wenger-Oehn: Nein, unabhängig davon, dass wir an eine gemeinsame nachhaltige Lösung glauben, muss natürlich auch nachgewiesen werden können, dass sie ökonomisch positive Effekte erzielt. Diese Frage wird letztlich entscheiden, welches Ergebnis bei der Quartierswerkstatt am Ende des Tages herauskommt. Hier sind wir derzeit noch in der konzeptionellen Phase.

Wird die Energiequartierslösung auch günstigeres Wohnen ermöglichen?
Wenger-Oehn: Wir setzen voraus, dass die Energielösung insbesondere in den Betriebskosten zu deutlichen Skalen- und Synergieeffekten führen wird, die sie für Mieter deutlich günstiger machen. Wie schon erwähnt, soll es zudem aber auch klare Ersparnisse bei den Investitionskosten geben. So gesehen profitieren alle Seiten von der Energiequartierslösung.

Neben der Energie bildet die Quartierswerkstatt auch andere Themen gemeinschaftlich ab – wie sieht es da etwa beim Vertrieb von Gewerbeflächen aus?
Grüneis: Wir denken auch die Erdgeschoßzonen mit und achten darauf, die optimale Mischung an Gewerben zu erzielen. Durch unsere Datensammlungen wissen wir, wie sich die Menschen in der Seestadt bewegen, und können die besten Wege-Relationen erzielen. Ich bin überzeugt, dass unser Projekt eine Vorbildwirkung haben wird und für zukünftige Quartiersentwicklungen neue Standards setzt.

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