Ilija Trojanow, der gefeierte Autor von packenden Geschichten zu globalen Themen, nahm bei Forum Alpbach an einer Diskussion zur Rolle der Literatur im Umgan...
Ilija Trojanow, der gefeierte Autor von packenden Geschichten zu globalen Themen, nahm bei Forum Alpbach an einer Diskussion zur Rolle der Literatur im Umgang mit einer ungerechten Welt teil. Im Gespräch mit ex.alp spricht der Kosmopolit über seine ambivalente Beziehung zu Wien, die Stadt in der er derzeit lebt.
In Ihrem aktuellen – erst heute vorgestellten – Roman „Eis Tau“ verzweifelt ein Forscher am Schmelzen der Gletscher und vor allem an der Ignoranz der Gesellschaft und zieht daraus radikale Konsequenzen. Sie haben das Buch als „Liebesgeschichte“ zwischen einem Menschen und dem Eis bezeichnet. Sie leben in Wien und sind ja dort im Projekt „Augartenstadt“, einem Gegenentwurf zum gegenwärtigen politisch-administrativen System in Wien, aktiv. Ist dieses Engagement ein Ausdruck einer ähnlichen – fatalen – Liebesgeschichte zwischen Ihnen und der Stadt?
Die Augartenstadt ist eine spielerische Variante nicht existierender Basisdemokratie, sie reiht sich ein in eine Bewegung in vielen europäischen Städten für „mehr Stadt“, eine Stadt, in der Bürger vieles selbst entscheiden können. Es ist ein theatralischer Raum, der aufzeigt, wie es sein könnte. Es ist das auch ein gutes Beispiel für die Wirkung von Kultur auf die Politik: kulturelle Imagination zeigt einen Weg für die Umsetzung von neuem, anderem.
In Ihrem Statement hier beim Forum Alpbach haben Sie das Problem der „Umarmung durch das System“ in europäischen Gesellschaften angesprochen. Erleben Sie in Wien genug Raum für kritisches, anderes, genug Möglichkeiten für Alternativen?
Ja, es gibt so etwas: Wien erlebe ich manchmal als so eine Art gut gepolsterte Großmutter, die nach feinem Essen riecht und man sich einfach wohl fühlt. Wer unter solchen Voraussetzungen opponieren will, braucht Radikalität, das ist auch gut merkbar an der österreichischen Literatur, die zu gesellschaftlichen Themen deutlich radikaler Stellung bezieht als etwa in Deutschland.
Die Mehrzahl der Großstädte ist ja geprägt von sozialer Ungerechtigkeit und dem totalen Kollaps, in Wien ist das anders: die Wunden sind überzuckert, man muss sie suchen, das macht Wien aber auch zu einem spannendes Pflaster: es gibt zweifelsohne eine hohe Lebensqualität, wenn auch nicht für alle.
Was muss eine Stadt haben, damit Sie heute in ihr leben möchten?
Ich habe immer nur in Millionenstädten gelebt, und bin gleichzeitig ein großer Naturfreund, daher schätze ich die Bewegung raus aus und rein in die Stadt. Dann treibt mich die Lust auf das, was mir gerade abgeht, nach vielen Jahren in Indien und Afrika war das die europäische Kultur. Wien verkörpert in vielen Bereichen diese typische Europäische Kultur mit vielen lebendigen Szenen. Und dann hat Wien dieses extrem gute Verkehrssystem: ich bin ein Autoverächter, daher schätze ich die Möglichkeiten mit der U-Bahn, dem Fahrrad oder zu Fuß schnell im Grünen zu sein. Und, was viele überrascht: ich bin nach Wien gekommen, weil ich es nicht gekannt habe. Ich gehe dahin wo es für mich neu ist, wo ich eine neue Welt entdecke. Wien empfinde ich als exotisch und das schätze ich.