Nach Ende des Projekts ASPERN 100 und nach 100 Stunden im Mikrohaus hat sich das Institut für Alltagsforschung (www.alltagsforschung.org) ein paar Gedanken ...
Nach Ende des Projekts ASPERN 100 und nach 100 Stunden im Mikrohaus hat sich das Institut für Alltagsforschung (www.alltagsforschung.org) ein paar Gedanken über Simulationen und das Leben in der Zukunft gemacht...
100 Stunden Simulation des Alltags in der Zukunft - nun ist es Zeit für Reflexionen des zukünftigen Lebens:
Das Szenario des Versuchs war beinahe optimal gewählt: Mit dem Mikrohaus als zukünftige Versöhnung von Trailerpark, Blechkiste und Eigenheim ohne Eigenkapital war das Zentrum der Simulation so wenig visionär, dass es als realistische Zukunftsoption durchging. Rund um das Mikrohaus bot die Stadt-Attrappe aus Containern, Holz- und Stoffbehausungen beinahe alles, was eine Stadt braucht: Von der Litfasssäule bis zur Verwaltung, von der öffentlichen Uhr bis zu einer Fabrikations- und Produktionsstätte immaterieller Güter (die sog. Fabrik PUBLIK). Trotzdem unterschied sich diese Stadt-Simulation radikal von herkömmlichen Städten - nicht nur, dass die meisten ihrer männlichen Bewohner ohne oben rumliefen oder der zentrale Platz der Stadt von einer überdimensionalen öffentlichen Tafel dominiert wurde, sondern vor allem durch die Unmöglichkeit, in dieser Stadt Geld auszugeben.
Dieses Environment hatte natürlich Konsequenzen ASPERN 100: Die Versorgung des Alltags der Zukunft etwa war nur dank einer ausgeklügelten Lebensmittellogistik aufrechtzuerhalten, die durch die extremen Witterungsbedingungen (auch in diesem Punkt simulierte das Projekt erfolgreich die Zukunft des Klimawandels) noch zusätzlich erschwert wurde. Wichtiger als die pragmatische Herausforderung der Alltagslogistik war jedoch die Erfahrung, dass sich in der Abwesenheit klassischer ökonomischer Strukturen und in der räumlichen Trennung der Stadt-Attrappe von der übrigen Stadt eine neue Zeit- und Aufmerksamkeitsökonomie konstituiert. Und es ist diese neue Ökonomie, durch die sich der Alltag im Rahmen der Simulation am deutlichsten vom realen Alltag in der richtigen Stadt unterschied. Die Zeit der Simulation verging langsamer, wurde fokussierter verausgabt als die des gegenwärtigen Lebens. Wozu tauch die Umstellung der Zeitmessung von 24h-Zyklen auf eine lineare 0-100 Stunden-Struktur im Rahmen der Simulation und die relative Reizarmut des Simulations-Environments ihren Teil beitrugen - beide stifteten ein „Mehr an Zeit“.
Mit der Zeit- und Aufmerksamkeitsökonomie veränderte sich zwangsläufig auch die Art und Weise des Arbeitens. Plötzlich war es möglich, sich über Stunden hinweg ohne größere Ablenkungen einer bestimmten Tätigkeit zu widmen. Die bestimmendste Tätigkeit war dabei allerdings die Kommunikation mit der Außenwelt: Video-diaries, Blog-Postings, das Füttern gefräßiger angeblicher „Sozialer Medien“, die sich wieder einmal - in der Vereinzelung und Isolierung ihrer NutzerInnen vor den Bildschirmen der Laptops - als asoziale Medien zu erkennen gaben. Trotzdem bleibt als positive Erfahrung aus der Simulation, dass der Alltag der Zukunft durchaus Zeit ließ für eine „abschweifende“ Produktion, die sich nicht nur auf das vermeintlich Dringende und Notwendige beschränken musste.
Unter den teilweise extremen Bedingungen der Simulation nahm die direkte Konfrontation mit ganz konkreten und trotz ihrer Beiläufigkeit dringenden Problemen viel Zeit und Aufmerksamkeit in Anspruch: So musste die Sonne unter allen Umständen gemieden werden. Videos wollten gedreht, auf den Rechner geladen, geschnitten, ausgespielt, kleingerechnet, hochgeladen werden. Und Getränke waren strategisch geschickt auf die zwei beinahe kollabierenden Kühlschränke und das Eisfach zu verteilen. Auch wenn nicht alle diese Herausforderungen willkommen waren - unter den Bedingungen der Simulation (also unter den Bedingungen der skizzierten neuen Zeit- und Aufmerksamkeitsökonomie) war es möglich, in ihnen mehr zu sehen als nur lästige alltägliche Widrigkeiten.
In diesen Reflexionen erweist sich die 100-stündige Simulation des Alltags, wie sie vom Institut für Alltagsforschung mit ASPERN 100 durchgeführt wurde, als passendes Tool, um Zeit- und Aufmerksamkeitsökonomien experimentell sichtbar zu machen und neu zu gestalten. Und genau darauf wird es ankommen im Kampf um den Alltag der Zukunft, egal ob im Mikrohaus oder woanders.
Viva la Simulacion!
Institut für Alltagsforschung
www.alltagsforschung.org