Die Großbaustelle Aspern-Seestadt erschafft bleibende Lebensräume. Mich, als Teil des diesjährigen Blog-Trios, interessiert, welche Veränderungen und Umb...
Die Großbaustelle Aspern-Seestadt erschafft bleibende Lebensräume. Mich, als Teil des diesjährigen Blog-Trios, interessiert, welche Veränderungen und Umbrüche in der Gegenwart des Kran- und Zementspektakels zu entdecken sind. In unregelmäßigen Streifzügen, so mein Vorhaben, soll das Gelände durchkreuzt werden, um Geschichten, Meinungen, Geschehnisse zu sammeln.
Der Sprayer
Der Geruch der Flämarbeiten zieht den Dächern übers Rollfeld. Eine Gruppe Studenten betrachtet vom Aussichtspunkt am anderen Seeufer die Baustelle, der Wind macht es unmöglich, die Ausführungen des Dozenten zu verstehen, der übers Wasser und auf die Arbeiter deutet. Das Sprungbrett zeigt sich verlassen hinter kahlem Gestrüpp, auf dem Parkplatz davor viele Bauwägen, weiße von Strabag und grüne von Porr, die, denke ich mir, als Behausung in der Wagensiedlung Gänseblümchen sicherlich heißbegehrt wären. Die Gebäude wirken zunehmend vollendet, verglast und mit fertiger Fassade, erhalten durch die jüngst eingesetzten Fensterscheiben eine vorstellbare Wohnlichkeit, oder, wie Kollege August Staudenmayer einmal anmerkte: Die Fenster sind wie Augen, Häuser kriegen erst dadurch eine Seele. Die ersten Wohnungen wurden bezogen, gegen Jahresende sollen es rund 6000 Menschen sein, die die seit Mitte der 1990er laufenden Planungen der Seestadt in eine neue Phase lenken. Es entstehen Technologie-Cluster und Gebetsräume, Anbindungen für sechs Buslinien und zwei Straßenbahnstationen, 240 Hektar im Gesamten und davon wiederum 70 Hektar Grünflächen, so künden es zumindest die im Infopoint erhältlichen Prospekte an. Was, frage ich mich, wünscht und erwartet sich jemand, der in die Seestadt zieht? In der Wochenendausgabe der Tageszeitung Der Standard (30. / 31. August 2014) beginnt ein Artikel mit der Überschrift „Wie Wien 100.000 neue Wohnungen schaffen will“ wie folgt: Wenn die Seestadt Aspern fertig ist, wird Wien zwei Millionen Einwohner haben. Ein kausaler Zusammenhang besteht aber nur bedingt: Schließlich wird die Seestadt nur etwa acht Prozent der dann rund 250.000 neuen Wienerinnen und Wiener beherbergen können. Der große Rest muss woanders unterkommen. „Eigentlich bräuchten wir zehn Aspern“, sagte deshalb TU-Stadtforscher Rudolf Giffinger kürzlich zum Standard... usw. usf. Vorm temporären Sitz des Jugendclubs nahe des Flederhauses treffe ich einen jungen Mann, der am Baucontainer angebrachte Graffitis fotografiert. Von dir? frage ich und er verneint, der kleine Bruder eines Bekannten hätte es gemacht. Ich mal schon ein wenig länger, sagt er und belässt es dann, wie es zu seinem Metier gehört, bei einem Lächeln und Achselzucken, als ich ihn frage, ob er legal oder illegal unterwegs sei. Ich seh hier einen Haufen Möglichkeiten, meint er, und zeigt in weitem Bogen über Baustelle und Ubahntrasse. Allein die Pfeiler dort, sagt er und deutet auf die grauen Betonpfosten, die sich bis nach Aspern Nord ziehen und auf sich die U2 befördern. Und nächsten Sommer kann man hier auch schwimmen, setzt er nach und zieht sich die Kapuze ins Gesicht.
Dieser Beitrag ist Teil des Projekts Stadt.Schreiben, im Rahmen dessen sich drei AutorInnen auf ihre individuelle Art literarisch mit der entstehenden Seestadt auseinandersetzen. Der Inhalt spiegelt die Meinung der Autorin bzw. des Autors wider und muss nicht der Meinung des Stadtteilmanagements Seestadt aspern entsprechen.