Die Großbaustelle Aspern-Seestadt erschafft bleibende Lebensräume. Mich, als Teil des diesjährigen Blog-Trios, interessiert, welche Veränderungen und Umb...
Die Großbaustelle Aspern-Seestadt erschafft bleibende Lebensräume. Mich, als Teil des diesjährigen Blog-Trios, interessiert, welche Veränderungen und Umbrüche in der Gegenwart des Kran- und Zementspektakels zu entdecken sind. In unregelmäßigen Streifzügen, so mein Vorhaben, soll das Gelände durchkreuzt werden, um Geschichten, Meinungen, Geschehnisse zu sammeln.
3. Der Gärtner
Nördlich der Baustelle, zwischen Zufahrtsstraße und Acker, liegt das Sprungbrett, ein auf ehrenamtlicher Mitarbeit basierendes Experimentierfeld für alternative Wohn- und Lebensformen. Ein auf dem Gelände angetroffener Mann, der hauptberuflich als Gärtner arbeitet und seine Expertise in verschiedensten Beeten und Pflanzungen zur Anwendung bringt, ist sich des historischen Hintergrundes von Aspern bewusst. Gerade hier, an einem von Napoleon oder den Nationalsozialisten geprägten Ort kriegerischer Auseinandersetzungen und Besitznahmen, drängen sich, so der Gärtner, Fragen nach einem friedlichen Zusammenleben auf. Wie kann der Einzelne in naher Zukunft trotz knapper Ressourcen ein qualitativ hochwertiges Leben führen?
Die Vielfalt der Ansätze und Fragestellungen spiegelt sich in jener der Baumarten: Pappeln, Weide, Rubinien, Schlehe, Holler, Weißdorn, Kirschen, Ahorn, Walnuss, Marillen, Wildrosen, Haselnuss bilden eine von Weitem sichtbare Insel im Gräsermeer. Es ist ein temporär existierender Ort, der der expandierenden Baustelle wird weichen müssen. Der Gärtner sieht im Sprungbrett einen Beitrag zur Stadtentwicklung, ein Labor für zukunftsfähige Lebensstile. Hier treffen sich Architekten, Weltreisende, Bobos. Ein bürgerliches, auf Nachhaltigkeit fokussiertes Bewusstsein vermischt sich mit der DIY-Mentalität von Aussteigern. Der Open-Source-Gedanke zählt: Projekte und Ideen sind von allen Seiten willkommen, deren Ergebnisse wiederum stehen der Gemeinschaft zur Verfügung. Eine durch Europa tingelnde Delegation des US-amerikanischen, popkulturell ikonisch verehrten Burning Man Festivals feierte hier das Erntedank-Fest, kurz quartierte sich ein aus der Stadt geflohener Obdachlose ein. Hopi-Rituale finden, wie auch der monatlich einmal abgehaltene Feuertanz, rege Anhängerschaft. In kleinen Beeten wachsen Melonen, Artischocken, Erdmandeln oder Raritäten wie alte Tomatensorten. Der Biomeiler wärmt die verschiedensten, zum Teil aus Hanflehm erbauten Behausungen. Ist die Energie des Biomeilers nach zwei Jahren aufgebracht, kann er als Hochbeet für Kürbis, Papirka, Gurken verwendet werden. In den Augen des Gärtners ist das Sprungbrett eine Oase zwischen Beton und Äcker-Monokultur. Seine Vision ist es, dass diese Oase sich in einen Park für die Seestadt transformiert. Einer der abgestellten Wohnwägen dient als Atelier der Regisseurin Steffi Franz, deren jüngste filmische Arbeit die Wohnwagensiedlung Gänseblümchen (s. Blogbeitrag # 1) samt nachbarschaftlicher Großbaustelle zum Inhalt hatte. Die Dokumentation trägt einen Titel, der auch zum Sprungbrett und dem dortigen Experimentieren und Staubaufwerfen passt wie kaum ein anderes Motto: Dreck ist Freiheit.
Dieser Beitrag ist Teil des Projekts Stadt.Schreiben, im Rahmen dessen sich drei AutorInnen auf ihre individuelle Art literarisch mit der entstehenden Seestadt auseinandersetzen. Der Inhalt spiegelt die Meinung der Autorin bzw. des Autors wider und muss nicht der Meinung des Stadtteilmanagements Seestadt aspern entsprechen.