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Stadtteilmanagement Seestadt aspern

Veröffentlicht am 31.10.2014

Kultur

Seestadt.Schreiben - Robert Prosser #5

Die Großbaustelle aspern Seestadt erschafft bleibende Lebensräume. Mich, als Teil des diesjährigen Blog-Trios, interessiert, welche Veränderungen und Umb...
Die Großbaustelle aspern Seestadt erschafft bleibende Lebensräume. Mich, als Teil des diesjährigen Blog-Trios, interessiert, welche Veränderungen und Umbrüche in der Gegenwart des Kran- und Zementspektakels zu entdecken sind. In unregelmäßigen Streifzügen, so mein Vorhaben, soll das Gelände durchkreuzt werden, um Geschichten, Meinungen, Geschehnisse zu sammeln.   Der Cricketspieler. Ein Freitag Abend Mitte Oktober, das Flederhaus grün erleuchtet. Zwischen Baucontainern und See nützen vierzehn Inder die freie Fläche und spielen Cricket unter provisorisch montierten Laternen. Es dämmert, die Station Aspern Nord erscheint aus der Entfernung wie ein riesiges, glühendes Nest im dunkler werdenden Gras, der Wind fegt um die zur Ubahn eilenden Bauarbeiter, in Jacken verpackt und die Kapuzen hochgezogen, während die Inder aufgehitzt, mitgerissen vom Spiel höchstens in Tshirt dem Ball nachhetzen oder den breiten Schläger schwingen. Sie schreien, jubeln, fluchen, und ich muss mir eingestehen, dass Cricket vielleicht doch nicht jener todlangweilige Sport ist, für den ich ihn bisher gehalten habe. Aus dem Rechteck des Laternenlichts saust der Ball in hohem Bogen in die Wiese und erzwingt eine Pause, in welcher mir einer der Cricketspieler, ein im 22. Bezirk aufgewachsener 20jähriger namens Rahul, von Amritsar erzählt, der Heimatstadt seiner Eltern und Metropole des Punjabs, die er vergangenes Frühjahr erstmals besucht hat. Mich selbst verschlug es im April 2010 nach Amritsar, und zwischen Rahul und mir entspinnt sich gemeinsames Evozieren der buntbemalten, Militärmärsche hupenden Trucks, der vor Hitze glänzenden, schwarzen Büffel am Straßenrand, wie die Vororte sich bündeln zum von Autorikschas verstopften, lärmenden Zentrum, wo im Innern eines aus weißen Marmor gemeißelten Rechtecks aus Gebäuden, Türmen und Promenaden ein blitzsauber ins Steinbecken geflößter, mit Schwimmverbot belegter See liegt, in dessen Mitte wiederum, einzig über einen Steg von der südlichen Seite aus zu erreichen, das Heiligtum der Sikhs aufragt: Der Goldene Tempel. Aus sämtlichen Weltecken, wohin auch immer die Emigration führte, reisen die Gläubigen an, paradieren über die Hauptstraße, vorbei an sündteuren Coffee-Shops und Pizzerias; Souvenirshops finden sich selbst innerhalb der Eingangstore und manche Pilger verbeugen sich bereits hier, legen sich wie in Anbetung der Kaufkraft bäuchlings auf den Boden. Ich erinnere mich der tausenden Menschen und der tiefen, eigentümlich schläfrigen Einheit, die diese Tage und Wochen bei freier Kost im Tempel verbringen, in den kleinen Parks und unter Torbögen am Wasser rasten, Jahreslöhne als freiwillige Spende abgespart im Gepäck sich mit unzähligen anderen vermischen, stündlich die Kammern der Priester und allabendlich die Zeremonie abklappern, wenn das heilige, goldene Buch aus dem Tempel getragen und am nächsten Morgen unter Fanfaren wieder hinein begleitet wird. Der Cricketspieler berichtete per Iphone seinen Freunden zuhaus in Wien von den Geschehnissen im Goldenen Tempel, wie manche ihre Neugeborene mittrugen und auf weißen Steinböden in Innenhöfen oder nahe der belagerten Reihe von Latrinen schliefen, während die im Marmor angestaute Sonnenhitze mit Einbruch der Dämmerung langsam auszustrahlen begann und die durcheinander gewürfelten Körper wärmte. Dreimal täglich liefen Freiwillige im Essenssaal durch die Reihen der am Boden sitzenden Menschen, schöpften aus Eimern Linsen und Reis in die vor den Wartenden liegenden Aluminiumtableaus, und er erinnert sich an die in dunkles Blau gewandeten Wächter, die den Anstand verteidigten, Händchenhalten und jede andere Art der Berührung verboten, fehlende Kopfbedeckung, sei es ein Turban oder die ausgeteilten orangen Tücher, mit erhobenen Augenbrauen und Stöcken, mit lauten Stimmen und Rauswurf ahndeten. Unentwegt drangen aus den Lautsprechern die Gesänge der Priester in Schlaf oder Andacht, ununterbrochen vorgetragener Text des Buches Guru Granth Sahib, verfasst in Gurmukhi, einer eigens dafür entwickelten Sprache. Mir selbst blieb vor allem der Eintritt durchs westliche Tor im Gedächtnis, vorbei an der Gemeinschaftsküche, an deren Hintereingang jeden Morgen die gespendeten Tonnen von Gemüse und Reis abgeladen werden, wo sich der Priestersingsang mit den klappernden Geräuschen des Abwasches vermischt, da tausend Aluminiumtableaus ins Spülwasser der Bottiche tauchen und einen trommelnden, hypnotischen Rhythmus bilden. Ob er sich vorstellen kann, in Aspern zu wohnen, frage ich ihn, bevor das Cricketspiel ihn wieder mit sich reißt. Rahul zuckt mit der Schulter, deutet auf die am Abend unkenntlichen Schemen der Wohnblöcke, wenigstens, sagt er, sind jetzt Fenster drin und wirken die Häuser nicht mehr so trostlos.     Dieser Beitrag ist Teil des Projekts Stadt.Schreiben, im Rahmen dessen sich drei AutorInnen auf ihre individuelle Art literarisch mit der entstehenden Seestadt auseinandersetzen. Der Inhalt spiegelt die Meinung der Autorin bzw. des Autors wider und muss nicht der Meinung des Stadtteilmanagements Seestadt aspern entsprechen.    

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