3. Teil
Wenn Rainer Werner Fassbinder noch leben würde, würde er folgenden Film über die Seestadt machen.
Szene, Seestadt
Franz (geht...
Wenn Rainer Werner Fassbinder noch leben würde, würde er folgenden Film über die Seestadt machen.
Szene, Seestadt
Franz (geht...
3. Teil
Wenn Rainer Werner Fassbinder noch leben würde, würde er folgenden Film über die Seestadt machen.
Szene, Seestadt
Franz (geht rauchend herum, murmelt in sein Smartphone): Immer wenn ich lyrisch drauf bin, komme ich in so ne Hochstimmung – oder umgekehrt, immer wenn ich in Hochstimmung bin, werde ich so lyrisch.
Reise
Durch die Furt der Zementblüte
Unendliche Schneise
Der halsreckenden Türme
Doch ehe über den Morgen
Der Schweif schlägt
Sinken
Steigen
Hinter dem Drachen
Die leuchtenden Lasten
Abends
Schließen sich das erste Mal
Die (neuen) Fenster
Glühen die Arbeiterhände
Verstehen sich
Lautlose Rufe
In den Gestalten der Weiden
Ruhen sich Blicke aus
Nachts öffnet sich das erste Fenster
Und wechselt schwüle Luft in Liebe
Nun aber geht’s zur Sache. Ich zitiere den Dichter Helmut Seethaler: „Alle Werte sind verloren – wenn es um große Gewinne geht – Da bleibt nichts von sozialer Gerechtigkeit und Rücksicht auf Arme, Alte, Schwache – Da zählt nur der eigene, immer größer werden müssende Vorteil –“ Na, das ist schon ein anderer Ton, nicht wahr? Helmut Seethalers Plakate und Flugzettel sind im gesamten öffentlichen Raum in der Stadt zu finden, hoffentlich bald auch hier, in der Seestadt. „Da wird jedes Verhalten nur Variante des Betrügens – und je besser Firmen sich tarnen – umso mehr Umsätze sind zu erzielen – Alles ist genau geplante Strategie – des globalisierten Gewinnstrebens – koste es noch so viel Natur – koste es noch so viele Leben –“ Helmut Seethaler, genannt der Zetteldichter, muss endlich von der Stadt (oder vom Staat) für seine Arbeit bezahlt werden. Aber vielleicht will er das gar nicht? Das würde mich interessieren. Lieber Herr Seethaler, wollen Sie lieber von Spenden leben oder vom Staat (von der Stadt) bezahlt werden, wenn es die Möglichkeit gäbe? „Aktionäre weltweiter Handelsketten – wollen müssen weiter sich bereichern – und dürfen es auch immer mehr – Statt Diktatoren kamen die Konzerne – die über alle(s) bestimmen – Entzogen jeder Kontrolle – denn sie sind mächtiger als alle Kontrollore – kaufen sie sich – Regierungen und Richter – und sichern und vollenden – ihren Zugriff auf die Welt.“
Szene, Küche in einer Dreizimmerwohnung, abgenützter Altbau, schäbige Wiener Gegend
Franz (raucht ununterbrochen): Wer ist mit dem Abwasch dran?
Abdul: Immer der, der fragt.
Franz: Was, ich schon wieder?
Lydia: Mich kotzt das an, dass ich die Einzige bin, die Geld nachhause bringt.
Franz: Das stimmt so nicht mehr. Ich kriege ein Stipendium.
Abdul: Was für ein Stipendium?
Franz: Ich bin gefragt worden, ob ich … ein früherer Liebhaber von mir war mir noch einen Gefallen schuldig. Jetzt schreibe ich an einem Blog mit und werde dafür bezahlt. Endlich mal Geld für meine Schreiberei. Vielleicht wird auch ein Buch draus.
Abdul: Wusste gar nicht, dass du schreiben kannst.
Lydia: Und wie der schreiben kann. (setzt sich auf seinen Schoß, bleckt ihre Zähne) Aber ein Liebesgedicht für mich hast du noch nicht geschrieben.
Franz: Das fehlte noch. Ich liebe euch beide. Oder besser gesagt, im WG-Jargon, ich vögle mit euch beiden. Auf alle Fälle wird heute gefeiert. (stellt eine Flasche Sekt auf den Tisch, Lydia geht von seinem Schoß herunter)
Lydia: Was heißt, du liebst mich nicht.
Franz geht zur Wand, wo die Listen hängen und tippt auf sie.
Franz: Hier steht, wer mit dem Abwasch dran ist, wer das Scheißhaus putzt und wer wann mit wem vögelt.
Lydia: Und wer wie viel Geld nachhause bringt.
Franz: Ist das Liebe? Das kotzt mich an. (öffnet die Sektflasche mit einem Knall und macht einen gierigen Schluck, wobei ihm ein Teil schäumend aus dem Mund zurückläuft)
Abdul: Wovon handelt das Buch?
Franz: Also mein Teil soll eine Geschichte werden über ein paar Leute, die in der neuen Seestadt eine Wohngemeinschaft machen, wie früher zur Hippiezeit, eine Kommune, mit allem Teilen, Geld, Arbeit, Sex und so.
Lydia: Bei der schicken Seestadt wirst du dir mit Hippiekommune schwer tun. Das wird ne noble Gegend.
Franz (nimmt einen tiefen Zug): Anfangen soll es mit einem Blowjob in der U-Bahnfahrerkabine. Und mit dem Kennenlernen der drei Protagnisten. Einer ist Filialleiter eines Modegeschäfts in der neuen Einkaufsstraße. Der zweite ein Arbeitsloser, der sich bei ihm um einen Job bewirbt. Und seine Frau. Die aber vor bezahlten Quickys in Hinterzimmern nicht zurück schreckt. (Lydia funkelt ihn kurz an) Zuerst mögen sie sich nicht. Doch dann freunden sie sich an. Es wird ein heißer Dreier draus. Sie scheißen auf das konventionelle Leben in einer Gesellschaft wie dieser, und sie scheißen darauf, dass sie nie genug Geld verdienen werden, um sich ihre Träume zu erfüllen. Sie steigen aus, entführen den Konzernchef der Modekette und erpressen Geld, viel Geld. Das ist die Geschichte. Wie sie ausgeht, weiß ich noch nicht. Vielleicht bringen sie sich gegenseitig um. Vielleicht fahren sie nach Amsterdam und heiraten zu dritt. Oder nach Indien und vergewaltigen einen Guru. Was weiß ich, vielleicht bleiben sie hier und machen sich so lange gegenseitig fertig, bis sie nur noch der Hass zusammen hält.
Abdul: Warum sprichst du jetzt so darüber?
Lydia: Es geht immer um die Liebe, wie viel man kriegt, wie viel man sich nimmt.
Franz: Willst du irgendeine Andeutung in meine Richtung machen?
Lydia: Du nimmst halt gern. Und oft. Und forsch.
Abdul: Du hast uns nie gesagt, wie alt du eigentlich bist.
Franz: Ich werde sicher nicht alt, bei meinem Lebenswandel. (zündet sich eine neue Zigarette an)
Lydia: Aber wir haben doch davon geträumt, wir schaffen etwas Besonderes – gemeinsam.
Franz: Ich habe halt ein anderes Tempo.
Lydia: Du kannst einem ganz schön die Stimmung vermiesen.
Franz: Für den Blog fahre ich in die Seestadt und beobachte, was da entsteht, Sommer, Herbst, bis in den Winter hinein.
Lydia: Schön.
Franz: Ja, ist es. Aber der Aufruf an die Reichen „INVESTIEREN SIE IN DIE SEESTADT“ kotzt mich an.
Lydia: Pass auf, was du sagst.
Franz: Das ist nicht so leicht.
Lydia: Ich meine, was du schreibst. Schreib über das Schöne.
Franz: Versuch ich ja. Ich will es schaffen.
Lydia: Das wirst du.
Abdul: Wie viel kriegst du dafür?
Franz: Tausend Euro.
Lydia: Monatlich?
(Franz gibt keine Antwort)
Abdul (hebt die Sektflasche): Salut.
Szene, Seestadt
Franz (geht rauchend herum, murmelt in sein Smartphone):
… das Gesicht der werdenden Stadt bekommt langsam n bisschen Farbe, ein zentrales Gebäude direkt nen Pfirsichteint. Doch noch haften die Gerüste wie riesige Zahnspangen des Himmels am Gemäuer. Und noch spreizen die Kräne ihre stählernen Finger empor, und lassen ihre Gelenke knacken. Noch ist der Vorplatz vom Flugfeld historisch belastet. … dass hier Nazibomber … das ist so unfassbar.
(Er geht Richtung See)
Ein Dutzend halbwüchsiger Jugendlicher – Burschen – erklimmt unter ostsprachigem Durcheinandergerufe den Wall am See, übt Kampfsportverrenkungen gegeneinander aus, Stöße, Schläge, Tritte, zumeist ins Leere, aber manchmal in Fleisch, dann kommen unmännliche Tränen und Flüche und Drohungen, aber das Meiste bleibt kraftstrotzende Gebärde. Das Wetter ist warm, sie scheren sich einen Dreck um das „Badeverbot“, ziehen sich aus bis auf ihre fleckigen Unterhosen, die dreckstarrend wie dickes Papier um ihr Geschlecht hängen, und platschen mit ihren dürren Körpern auf den See. (Es platscht)
Es wird Abend. Die Bauarbeiter gehen in Gruppen, Grüppchen, keiner allein, die seligen, nach sinnstiftender Schufterei erschöpften, zur U-Bahn, die wie ein schnaufender Schlauch auf seine Befüllung wartet. Vor dem Aufgang steht ein wässrig-blaues Werbeplakat, das den verdreckten, verschwitzten Hacklern Appetit auf körperliche Frische machen will: „Dusch mit mir.“
Nach sinnstiftender Schufterei erschöpft … Lieber Himmel, was ich für einen Blödsinn daher schwafele, wenn der Tag lang ist.
Dieser Beitrag ist Teil des Projekts Stadt.Schreiben, im Rahmen dessen sich drei AutorInnen auf ihre individuelle Art literarisch mit der entstehenden Seestadt auseinandersetzen. Der Inhalt spiegelt die Meinung der Autorin bzw. des Autors wider und muss nicht der Meinung des Stadtteilmanagements Seestadt aspern entsprechen.