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Stadtteilmanagement Seestadt aspern

Veröffentlicht am 17.07.2014

Kultur

Seestadt.Schreiben - August Staudenmayer #2

2. Teil

Wenn Rainer Werner Fassbinder noch leben würde, würde er folgenden Film über die Seestadt machen.



Szene, Seestadt

Franz geht rauchend...
2. Teil Wenn Rainer Werner Fassbinder noch leben würde, würde er folgenden Film über die Seestadt machen. Szene, Seestadt Franz geht rauchend auf der Großbaustelle herum, um Eindrücke zu sammeln, er schreibt mit zwei anderen AutorInnen an einem Buch über das, was hier geschieht/entsteht. Er hat eine halbe Stunde, in einer Stunde muss er zuhause sein, zur allwöchentlichen Besprechung in der Wohngemeinschaft. Franz (murmelt in sein Smartphone): Seestadt, dein halb gezeugter Leib Ist wie weißer Holunder In den ein starker Mönch Die wächsernen Finger taucht Früchte läutend Kindliche Augen Folgen dem Flug der Vögel Ein himmelgraues Tuch ist ihr Staunen Daraus bisweilen ein stählernes Tier tritt Das langsam die rosigen Lider hebend Den Geist des neuen Hauses schöpft Vom Sinkflug tönender Engel bedacht (lacht) Kein Wunder, dass sowas rauskommt, wenn man drei Tage lang nur Georg Trakl liest. Mitten in der Unkrautwiese steht eine Vogelscheuche, wozu? Ein Bauarbeiter telefoniert und winkt in die Ferne, ich sehe in die Richtung seines Winkens, da ist aber niemand, wie weit in die Ferne winkt er, ich glaube, er spricht ukrainisch. Der Steg über dem Wall am See. Der See ist künstlich, doch es gibt einen „Grund“ für sein Existieren, alles was drum herum noch entsteht ist natürlich, natürlich auch die gepflanzten und gestützten Bäumchen. Eine Baggerschaufel – wie ein gepanzertes Tier im Sommerschlaf – rostet vor sich hin. (er blickt in den Himmel) Befinden wir uns in einer Einflugschneise des nahen Flughafens? Ich ziehe meinen Blick aus dem Himmel ab und suche auf dem Boden, alles fällt zu Boden, das ist die Gravitation, vom Boden kann man alles ablesen, was nötig, um zu wissen, wo man ist. Spuren. Die größte Spur hinterlassen die Rohbauten, die kleinsten die Abfälle, die beim Bau abfallen. Der Boden wird sie verschlingen, aber jetzt, in diesem Zwischenraum der Zeit bis zur Vollendung/Fertigstellung, sagen sie alles aus über die, die hier leben, um zu arbeiten und die, die hierher kommen, um zu schauen. (Franz geht gebückt weiter) Unter den Fundstücken – einer leisen Schuhsohle, einem halben Handschuh, einem offenen Verbandskasten – finde ich ein Kondom, ein gebrauchtes. Ein Bauarbeiter hat sich entspannt, mithilfe einer Frau oder eines Mannes, wahrscheinlich einer Frau, Bauarbeiter sind doch harte Kerle. Schön wäre, wenn das stimmt, was ich gehört habe – nämlich dass es hier eine schwule Baugruppe gibt. (er steht vor einer schief gezimmerten Holzhütte) Ah, hier ist die Kantine – „Big Mama“, da werde ich mal einkehren. Was gibt’s heute zu futtern … „Menü: Suppe, Schnitzel, Dessert.“ Der späte Frühling ist abgehauen, der frühe Sommer drängt sich ins Bild wie Helmut Berger als Dorian Grey. Die Hagenbutte, auch Heckenrose genannt, wird immer noch weißer. Ein Baukran nickt mir zu, ein anderer streckt seinen Arm nach mir aus. (Die Sonne blendet seine Augen, er schirmt sie mit der Hand.) Die Mohnblumen – lauter kleine, übrig gebliebene Mai-Aufmarschierer. Rot ist gesund. Mir fällt ein roter Apfel ein, der früher einmal auf einem Wahlplakat der SPÖ abgebildet war. Der Baulärm hält sich in Grenzen. Aber die Flugzeuge, die im Minutentakt in die Einflugschneise am Himmel spuren, werden in ihrem Lärm gerade noch überdeckt. Oh, die werdenden Mütter der Behausung, die werdenden schützenden Mäntel aus Mauer, Eisen und Glas. Ich vertrete mir hier die Beine, während es meinen Augen immer besser gefällt. An manchen Häusern sind bereits Fenster eingesetzt und somit bereit, eine Seele zu empfangen, man sagt ja, die Fenster sind die Augen der Häuser … Irgendwie bin ich verwirrt. Hier zu wohnen, müsste schön sein. Vielleicht wäre es gar nicht so teuer. Plötzlich steht er vor einem großen Plakat: SEESTADT ASPERN / MEIN NEUES HEIM / SOZIALBAU AG Franz: Verflucht! Was heißt hier SOZIALBAU? Mit Lydia und Abdul … das ist sozial … die Wohngemeinschaft … Und überhaupt – eine AKTIENGESELLSCHAFT! Gierige Aktionäre, die jedes Jahr noch fettere Renditen kassieren wollen. Und im Notfall soll der Staat sie vor Verlusten schützen. Ne, das ist nix – den eigenen Vorteil wahren und mehren, sozial und Aktiengesellschaft, das passt nicht zusammen. Wohnen ist ein Menschenrecht! Und an Menschenrechten zu verdienen ist vulgär. Wir in unserer WG machen’s besser, trotz aller Probleme, die das mit sich bringt. Aber nur so zum drüber Nachdenken – wäre es für unsereinen leistbar? Ein großer dicker Mann mit Wuschelfrisur und Vollbart, in ein zu knappes T-Shirt mit der Aufschrift GARTENGESTALTUNG gezwängt, kommt ihm entgegen. Aus seinem Kragen und unter seinen Achseln wuchern große dunkle Büschel Haare hervor. Franz (sieht dem behaarten Fleischberg nach): Die Arme der Baukräne heben ihre zerbrechliche Fracht. Vorsicht Glas! Fenster für Fenster kriegen die Häuser Augen. Die schauen auf einen herab. Bleib auf dem Boden, Franz. Ein Baggerfinger drückt mit einer kleinen Geste zwanzig Meter Gitterzaun um, wie Zahnstocher, wie nichts. Krähen scheuchen auf. Weiter weg rüttelt ein Falke in der Luft. Ein Kran scheint mittels seines Armes ein Flugzeug am Landeanflug hindern zu wollen – da stimmt die Perspektive nicht. Eine Baggerschaufel verrenkt sich in der Erde. Der Holunder ist verblüht, ist er auch verzagt? Weiß wie der Schleier um ein im Staub liegendes Puppenkleidchen. Die halbe Stunde ist um. Ich fahr nachhause. Vor der U-Bahnstation fallen mir drei Werbeplakate ins Auge: ESKIMO – Sooo good. MANGO – Sooo sexy. VELEDA – Sooo glitschig.      Dieser Beitrag ist Teil des Projekts Stadt.Schreiben, im Rahmen dessen sich drei AutorInnen auf ihre individuelle Art literarisch mit der entstehenden Seestadt auseinandersetzen. Der Inhalt spiegelt die Meinung der Autorin bzw. des Autors wider und muss nicht der Meinung des Stadtteilmanagements Seestadt aspern entsprechen.

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