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IBA-Koordinator Kurt Hofstetter im Gespräch über die Entstehung der Seestadt, Erfahrungen und Lerneffekte.Seit Jahrzehnten begleitet Kurt Hofstetter die Seestadt. Zunächst in der Stadtplanung, jetzt als Koordinator der Internationalen
Bauausstellung Wien, deren Schlusspräsentation auch in der Seestadt stattfinden wird. Und natürlich als Bewohner, denn Hofstetter
ist selbst überzeugter Seestädter.
Wie haben Sie die Entwicklung von den ersten Schritten bis zur heutigen
Seestadt erlebt?Kurt Hofstetter: Das war am Beginn der 1990er-Jahre, als ich meine ersten Schritte in
der Stadtplanung gemacht habe. Damals wurde erstmals beschlossen, das Flugfeld Aspern zu entwickeln, mit einem spannenden
Masterplan von Rüdiger Lainer, der aus unterschiedlichen Gründen nie umgesetzt wurde, erst zehn Jahre später wurde ein neuer
Anlauf gestartet. Zu dieser Zeit war ich in der Stadtplanung zuständig für den 22. Bezirk. 2003 bekamen wir den Auftrag, ein
Team zu bilden, in dem auch die Grundeigentümer vertreten waren.
Was hat den neuen Masterplan ausgezeichnet?Als Johannes Tovatt uns seinen Masterplan übergab, sagte er: Und jetzt müsst ihr ihn zerstören. Was er damit gemeint hat,
war, dass wir ihn nicht zu streng befolgen sollten. Es war eine klare Haltung darin enthalten und er hat uns vertraut, auf
ihr aufzubauen und sie weiterzuentwickeln. Das habe ich sehr geschätzt. Das ist definitiv eine der großen Lehren, die ich
aus der Seestadt gezogen habe: dass es Raum für Entwicklung geben muss. Mit Flächen, die am Anfang noch nicht determiniert
sind. Schließlich weiß man nie, was in fünf oder zehn Jahren gebraucht wird. Das war auch der Grund, warum wir nach dem Masterplan
als erstes einen Wettbewerb zum öffentlichen Raum gemacht haben – wir wollten den öffentlichen Raum nicht als das verstehen,
„was übrig bleibt“, wenn die Gebäude gebaut sind, und dann ein bisschen behübscht wird. Der öffentliche Raum ist die Grundlage
der nachhaltigen Stadtentwicklung.
Die Mischung von Wohnen und Arbeiten ist großes Thema in der Seestadt
– war auch das von Anfang an so vorgesehen?Ja, das war es. Das Verhältnis in der Donaustadt ist sehr unausgewogen
und dadurch wird Verkehr über die Donau erzwungen. Wenn man das entlasten möchte, muss es mehr Arbeitsangebot im Norden geben,
insbesondere wenn ständig Wohnungsangebot dazu kommt. In den letzten Jahren hat sich das in der Quartiersentwicklung stark
durchgesetzt. Damals war es noch eher ein Experiment.
Ungeplante Räume, weniger Stellplätze zur Reduktion
des Verkehrs, Mischung von Wohnen und Arbeiten – ist man diesen neuen Konzepten auch mit Skepsis begegnet?Da gab es auch auf unserer Seite ein paar Lerneffekte. Viele Menschen haben einfach nur eine Wohnung gesucht und gefunden,
hatten aber keine Idee, wo sie da hinziehen – für die gab es einige Überraschungen. Auch, weil die Vermittlung allgemeiner
Informationen über Bauträger noch nicht eingespielt war.
Welche Probleme gab es?Beispielsweise
hatten wir die Idee, „Aneignungsräume“ zu schaffen, die die Menschen für sich gestalten sollten. Die waren dann einfach mit
Autos vollgestellt. Auch der Gehsteig, der aus Gründen der Barrierefreiheit nur drei Zentimeter hoch ist, wurde nicht als
solcher erkannt und dann einfach als Parkplatz genutzt. Aber es ist in der Seestadt vorgesehen, dass man zu Fuß geht.
Wie geht man damit um in der Kommunikation?Kommunikation ist ganz essenziell. Damit haben
wir schon vor dem Masterplan begonnen – so waren beispielsweise Vertreter der umliegenden Kleingarten- und Siedlungsvereine
jederzeit zu den Planungssitzungen eingeladen. Gemeinsam hatten diese Vertreter auch eine Stimme in der Jury zum Masterplan.
Nach der Besiedelung war das Stadtteilmanagement enorm wichtig. Beim Einzug gab es ein Willkommenspaket, Betreuung, Gesprächsrunden.
Wir haben die Facebook-Gruppen, die sich gebildet haben, genau beobachtet – immer, wenn Missverständnisse oder Unmut aufgekommen
sind, haben wir dazu Informationsveranstaltungen gemacht.
Das große Thema dieser Ausgabe ist die „lernende
Stadt“ – wie würden Sie als Stadtplaner dieses Konzept beschreiben?Ich denke „lernende Stadt“ heißt, dass
es die Bereitschaft und die Möglichkeit gibt, sich den ändernden Bedingungen laufend anzupassen. Selbstkritisch zu reflektieren.
Zu verstehen, dass Stadt nie fertig ist. Jede Stadt verändert sich gezwungenermaßen – aber ob sie lernt, ist eine bewusste
Entscheidung. Es bedeutet sich proaktiv und bewusst anzupassen, statt nur auf äußeren Druck zu reagieren. Das spüre ich in
der Seestadt sehr stark.
Haben Sie deshalb die Seestadt als eines der Projekte für die IBA_Wien (Internationale
Bauausstellung Wien) ausgewählt?Die Kooperation mit der Seestadt im Rahmen der IBA war ein „Heimspiel“
für mich. Was wir in der ersten Phase hier gemacht haben, war ja selbst schon so etwas wie eine IBA – da waren so viele Prozesse
neu, so viele Dinge noch nicht verankert. Wir mussten noch viel ausbreiten, das heute in der Stadtentwicklung selbstverständlich
ist. Das Grundverständnis und die Kultur, die sich daraus bei allen Akteuren, bei den Unternehmen ebenso wie bei den Verwaltungsstellen
entwickelt hat, hat die Zusammenarbeit sehr erleichtert.
Das Thema der IBA ist „neues soziales Wohnen“.
Warum haben Sie dieses gewählt?Wir haben ein Thema gewählt, in dem Wien stark ist und viele Institutionen
hat, die man nicht erst aufbauen muss. Aber der Druck ist enorm, dieses Qualitätslevel zu halten. Wien hat ein enorm dichtes
Netz des sozialen Wohnens aufgebaut – aber dadurch ist man weniger flexibel, wenn es Veränderungen von außen gibt. Es ist
aufwändig, ein so großes Schiff auf einen neuen Kurs zu bringen. Die IBA hat die Aufgabe, neue Ansätze zu finden, Erfahrungen
möglichst gut zu nutzen – eben im Sinne der lernenden Stadt. Wir stellen weniger Einzelprojekte in den Vordergrund, sondern
die Quartiersentwicklung – die vielen kleinen Maßnahmen, die sehr erfolgreich sein können, aber nur, wenn sie koordiniert
sind, ein starkes Quartier ergeben.
Welche Lektionen kann man aus der Seestadt ziehen?Etwas, das gut gelungen ist, war die Implementierung der Baugruppen. Hier hat man Zellen geschaffen, die aufgrund ihrer
Zusammensetzung selbstständig agieren können, die sich selbst organisieren können. Menschen, die gemeinsam ein Haus planen
können, können sich auch ein Umfeld schaffen, das sieht man an der „Essbaren Seestadt“, bei Co-Working-Konzepten, bei den
Kulturangeboten. Das würde ich als wichtigen Zusatz für das soziale Wohnen mitnehmen. Eine andere wichtige Lektion ist das
Wohnumfeld, der Umgang mit der Erdgeschoßzone. Es muss gelingen, ein Umfeld zu schaffen, wo man sich auch draußen aufhalten
kann, wo man sich auf kurzen Wegen auch zu Fuß versorgen kann.
Sie selbst wohnen in der Seestadt, wie
erleben Sie den Prozess nun als Bewohner?Als ich beruflich wegging aus der Seestadt, habe ich meinen Kollegen
einen Wunsch mitgegeben: Passt auf, dass ihr nicht an Schwung verliert! Das passiert leicht, dass man die erste Phase perfekt
umsetzt und den Rest dann ein bisschen „abwurschtelt“. Aber das sehe ich überhaupt nicht. Es ist so viel passiert, so viel
gelernt worden. Es freut mich zu sehen, wie alle Beteiligten dieses Projekt mit so viel Herzblut weiterentwickeln.
Was ist die IBA_Wien?
IBA ist die Abkürzung für Internationale Bauausstellung. Die Tradition der Bauausstellungen
ist bereits über 100 Jahre alt: Mitte des 19. Jahrhunderts wurde es üblich, bautechnische Neuerungen auch in Weltausstellungen
zu präsentieren. Mit der IBA_Wien 2022 wurde erstmals in Wien eine Internationale Bauausstellung ins Leben gerufen. Wien stellt
sich damit die Aufgabe, wegweisende Lösungsvorschläge und Zugänge zu den Herausforderungen unserer Zeit zu entwickeln. Im
Zentrum steht das Thema des „neuen sozialen Wohnens“.