Ich stehe vor einer Fläche, unbebaut, mitten im dicht besiedelten Bezirk; ein ungefähres Rechteck, vierzig mal hundert Meter, aus rötlicher Erde wachsen d...
Ich stehe vor einer Fläche, unbebaut, mitten im dicht besiedelten Bezirk; ein ungefähres Rechteck, vierzig mal hundert Meter, aus rötlicher Erde wachsen die ersten Kräuter, Halme, manchmal gibt es eine graue Stelle; der Boden ist trocken, staubig, obwohl es gestern erst geregnet hat. Die Rückseite eines vielstöckigen Zinshauses aus den fünfziger Jahren lehnt sich jetzt an die Leere. Auf dieser Seite hat es keine Fenster, hier war nichts zu sehen, vor ein paar Wochen war hier noch eine Wand. Gierig betrachte ich den freien Boden. Das Trottoir, auf dem ich stehe ist asphaltiert. Die Straße ist asphaltiert. Zu den Aufgängen der Gebäude führen plattenbelegte Zugänge. Die Haut der Stadt ist versiegelt. Nur hier, unversehens, eine herrliche Wunde. Sie heilt schon. Schnell. Ich sehe etwas darunter pulsieren. Betreten Verboten, das Schild ist eindeutig. Die Zone wird keim- und kinderfrei gehalten. Meterhohe Haftklammern bilden eine, überwindliche, Begrenzung. Dünne könnten sich dort durchquetschen, wo zwei Klammern aneinander grenzen. Leichter Wind kommt auf. Das erste Sommerlicht dieses Jahres streift ein paar Körnchen roten Staubs. Bis nächstes Jahr soll aus dem Rechteck ein Quader werden, verspricht die Werbebotschaft. Maklerfreie Wohnungen, Eigentum. Für alle. Schon jetzt vermisse ich die leere flache Stelle; den Luxus dreckiger Nutzlosigkeit.
(Textbeitrag: Andrea Grill)