Diesen virtuellen Spaziergang sowie weitere spannende Artikel lesen Sie online in der aktuellen Ausgabe des Magazins workflow
– Moderne Arbeitswelten in der Seestadt.
Anna Oladejo wohnt und arbeitet in aspern Seestadt – wenn sie nicht gerade für ihr Herzensprojekt
in Afrika reist. Bei einer virtuellen Tour nimmt uns die Marketingexpertin mit zu ihren liebsten Orten und Winkeln in der
Seestadt.Von Julia PabstAnna Oladejo sitzt vor ihrem Computer, kurze Haare umrahmen
ihr Gesicht, eine bunte Brille mit dickem Rahmen sitzt auf ihrer Nase. Oladejos Büro wirkt nüchtern, neutral: ein heller Raum
mit leeren Wänden. Es könnte überall auf der Welt sein. Und ist es auch, denn Oladejo reist für ihr Leben gern. Zum Zeitpunkt
unseres virtuellen Spaziergangs befindet sie sich in Ghana. „Ich mache Work and Travel. Der Standort meiner Werbeagentur liegt
in der Seestadt, dank der digitalen Medien kann ich aber von der ganzen Welt aus arbeiten“, sagt die Texterin. Seit 2015 hat
die gebürtige Vorarlbergerin ihr Hauptquartier im Haus der Baugruppe LiSA in der Seestadt, in der Maria-Tusch-Straße 8. Vor
dem Einzug hat sie bei Planung und Bau mitgeholfen. Die Finanzierung des Projekts war am Anfang unklar. Trotzdem hat Oladejo
in das Projekt investiert – sie glaubte an das Konzept einer gemeinschaftlichen Wohnanlage und an das Engagement ihrer Nachbarn.
Lieblingsrunde. Auf die andere Seite der Donau zu ziehen, war keine leichte Entscheidung. Oladejo
hatte in den späten 80er-Jahren in der Bundeshauptstadt eine neue Heimat gefunden, erst im vierten, dann im 17. Bezirk. Diese
nach so vielen Jahren zu verlassen, war ein Wagnis: „Damals gab es in der Seestadt nur Felder. Es hat Mut gebraucht, diese
Hürde zu überwinden und über die Donau in diese Leere zu ziehen.“ Heute ist Oladejo froh über ihre Wahl. Sie fühlt sich in
der Seestadt angekommen: „Ich bin eine sehr überzeugte Seestädterin.“ Oladejo hat einige Lieblingsplätze in ihrem Grätzel.
Bekommt sie Besuch, spaziert sie mit ihren Gästen immer denselben Weg entlang: eine Runde am See, in die Buchhandlung Seeseiten
und zum Radcafé United in Cycling. Jeder Ort hat sein eigenes Ambiente – eines eint sie aber alle: das Gemeinschaftsgefühl.
Bewegungsspielraum. Die Runde um den See ist eine beliebte Spazierroute: Familien mit Kinderwägen,
ältere Pärchen und jugendliche Freundesgruppen schlendern die Promenade entlang. Das Schilf wiegt sanft im Wind, die Hochhäuser
spiegeln sich auf der glatten Wasseroberfläche. Ein Plakat mit der Begrüßung „Mahaba, Hawara!“ erinnert daran, dass die Seestadt
ein Ort des kulturellen Austauschs ist (und dass das Lokal Habibi & Hawara bald in der Seestadt einzieht). Gleichzeitig
merkt man, dass hier Stadt auf Land trifft. Auf der anderen Seite des Sees ist es noch ruhig, die urbane Geräuschkulisse tritt
in die Ferne. Das schätzt Oladejo sehr: „Ich kann mit dem Rad in zehn Minuten in der Lobau sein. Dass sind meine Bewegungsspielräume,
die ich sehr, sehr liebe.“
Auch die Buchhandlung Seeseiten zählt zu Oladejos Lieblingsorten. Die Chefs kennen die meisten
ihrer Kunden persönlich und sprechen sie mit dem Vornamen an. In den Regalen gibt es Empfehlungen und Klassiker. Vor Corona
gab es hier regelmäßig Lesungen und Konzerte. Jetzt finden die Veranstaltungen online statt.
2018 wurde der Laden zu
einer der besten Buchhandlungen Österreichs gekürt. Oladejo schätzt gerade das Kulturangebot ihres Grätzels sehr: „Im 17.
Bezirk gab es auch Möglichkeiten, für Kulturveranstaltungen schnell in die Stadt zu fahren. Ich habe das damals aber weniger
genutzt als jetzt in der Seestadt. Hier ist einfach alles viel näher.“
Ein paar Straßen weiter stehen bunte Fahrräder
vor einem im Wind wehenden Banner. „United in Cycling“ steht darauf. Der Laden verbindet Fahrradshop, Werkstatt und Café.
Während der Reparatur kann man hier hausgemachte, vegane Brownies essen oder Matcha Latte trinken. Lounge- Musik sorgt für
eine gemütliche Atmosphäre, die Besitzerin ist immer für ein Tratscherl zu haben. Generell schätzt Oladejo es sehr, dass
die Bewohnerder Seestadt so zugänglich sind: „Die Seestadt ist halt einfach ein Ort für Kreative und Solidarische.“
Gräzelgemeinschaft. In der Seestadt gibt es eine enge Gemeinschaft, die zusammenhält. Bei Unternehmertreffen,
die vom Stadtteilmanagement initiiert wurden, können sich Wirtschaftstreibende vernetzen. Oladejo hat dadurch schon viele
Kunden für ihre Werbeagentur gewonnen. Die Unternehmen, die sie bei ihren Konzepten unterstützt, haben oft sehr zukunftsträchtige
Pläne, erzählt die Marketingberaterin: „Hier siedeln sich gern innovative Firmen an – sie sind Mutmacher für andere. Das
erzeugt einen ganz besonderen Spirit.“
Dieser Spirit war es auch, der Oladejo für ihr Herzensprojekt in Afrika
motiviert hat. „Ich habe 25 Jahre darauf gewartet, nach Afrika zu reisen. Ich habe Kultur- und Sozialanthropologie studiert
und war mit einem Nigerianer verheiratet. Aber als Alleinerzieherin musste ich lang sparen, um mir die Reise leisten zu können“,
erzählt Oladejo. Als sie von ihrer Gambiareise 2019 zurückkommt, ist sie davon überzeugt, dass sie vor Ort etwas schaffen
möchte. Die Gastfreundschaft und die offene Atmosphäre im Land inspirieren sie: Die Vision entsteht, fünf Rundhäuser zu
bauen. „Am Anfang dachte ich mir, was ist das für ein Quatsch? Warum soll ich das machen?“, erinnert sich Oladejo. Zurück
in der Seestadt erzählt sie aber ihrem Afro-Dance-Lehrer Jules Lazare Mekontchou von der Idee. Er ist begeistert und ermuntert
sie: „Denk groß – das kann in vielen Ländern Afrikas entstehen!“ Die beiden tun sich zusammen und arbeiten nun schon zwei
Jahre lang an dem Projekt. „Die Vision ist, Menschen mit Menschen zu verbinden. Gemeinsam mit einem Freund aus Gambia haben
wir diese Vision ausgebaut, im Laufe der Zeit kamen andere dazu“, sagt Oladejo. Sie grinst, wenn sie von ihrem Herzensprojekt
erzählt.
Herzensprojekt. Gemeinsam mit ihren Kollegen plant die Marketingexpertin mehrere „BaoBeach
Villages“ in verschiedenen Ländern Afrikas. Dort will sie Reisegruppen unterbringen, die ihren Urlaub mit Einheimischen verbringen
wollen. Die Dörfer liegen jeweils an einem Meer, Fluss oder See und bieten Platz für 30 Reisende und zehn Einheimische.
Oladejo erklärt den Grundgedanken des Projekts so: „Wie in der Seestadt geht es bei unserem Projekt darum, Menschen
mit Menschen zusammenzubringen. Wir wollen Reisen anbieten, wo es weniger um Touristenattraktionen geht, sondern darum „diese
Energie in Afrika gemeinsam mit Einheimischen zu erleben.“ Als Entwicklungsprojekt sieht Oladejo ihr Vorhaben nicht: „Viele
Europäer haben ein veraltetes Bild von Afrika. Die Menschen hier sind sehr entwickelt – es gibt viel Innovation. Daran wollen
wir anknüpfen.“
Das Pilotprojekt startet in Gambia oder Kamerun, für kommende Ostern plant sie eine Kulturreise
nach Ghana (
https://www.baobeachvillages.com/kulturreise-ghana-ostern/).
Oladejo ist derzeit im Gespräch mit möglichen Investoren. Um ihre Vision umzusetzen, reist Oladejo trotz Corona-Pandemie
nach Afrika. „Viele sagen zu mir, ich bin so mutig, weil ich so viel reise“, sagt sie. Viele Freunde hätten ihr abgeraten.
Es sei zu gefährlich. Oladejo flog trotzdem. Sie möchte damit zeigen, dass Afrika nicht notwendigerweise gefährlicher ist
als Europa und will damit auch Stereotypen aufbrechen: „Bei dem Wort Afrika denken viele entweder an Abenteuer oder an arme
Menschen und Kriminalität. Wir wollen das verändern.“
Mutspende. Anna Oladejo lacht viel, wenn
sie von ihrer Arbeit und ihren Reisen erzählt. Der rote Strickpullover strahlt die Energie aus, die sie versprüht: Freude,
Kraft und Mut. Dass sie sich traut, ihre Vision trotz Corona in Afrika umzusetzen, inspiriert Menschen: „Viele, die unter
diesen Restriktionen zu Hause bleiben müssen, bedanken sich für schöne Bilder und aufmunternde Worte. Für sie bin ich
eine Mutmacherin, die ihrem Herzen folgt und das tut, was ihr wichtig erscheint.“ Bei ihrer Entscheidung, in die Seestadt
zu ziehen, war das ähnlich. Ihre Freunde konnten nicht nachvollziehen, was sie auf einem Stück Land in der „donaustädtischen
Pampa“ vorhabe. Oladejo hörte nicht auf sie und ist im Nachhinein froh darüber. Heute setzt sie solchen skeptischen Stimmen
entgegen: „Es braucht diese mutige Einstellung, um Neues zu schaffen. Da gibt es in der Seestadt einige, die ähnlich ticken,
die sich ganz bewusst für ein mutiges Leben entscheiden.“
Zur Person:Anna Oladejo
wurde in Vorarlberg geboren und lebt seit 1989 in Wien, seit 2015 in der Seestadt, im Haus LiSA, das eine Baugruppe realisierte.
Oladejo ist Texterin, Coach und Inhaberin einer Werbeagentur für Klein- und Mittelbetriebe.
www.interlinkmarketing.at