Über den Weg von der Skizze bis hin zur Umsetzung, über Visionen und Übermut sowie über die weiteren Herausforderungen für
Wiens größtes Stadtentwicklungsgebiet diskutierte letzten Donnerstag eine Runde von ExpertInnen im CLUB Seestadt. Thema der
Veranstaltung im Technologiezentrum Seestadt war „10 Jahre Masterplan – Planung + Wirklichkeit“. Die ExpertInnen waren sich
weitgehend einig: Es handelt sich um ein Vorzeigebeispiel für das Werden eines Stadtteils. Gründe für den Erfolg seien das
Konzept der Nutzungsmischung für „das ganze Leben“, die maßgebliche Unterstützung der Eigentümer, der Beirat zur Qualitätssicherung
und das gesamtheitliche Management durch eine Entwicklungsgesellschaft, die sich auch um die Erdgeschoßzonen kümmert. Aber
auch der Spagat zwischen Neuem ausprobieren und den Stadtteil für die Zukunft zu rüsten, dabei aber auch die aktuellen Bedürfnisse
der Menschen zu bedienen, funktioniere gut.
„Vor zehn Jahren waren ein paar Striche, eine Skizze. Es ist schön zu sehen, was sich seitdem getan hat“, freut sich der schwedische
Masterplaner Johannes Tovatt über die Entwicklungen in der Seestadt. Im Jahr 2007 begann auf dem ehemaligen Flugfeld Aspern
die visionäre Entwicklung eines multifunktionalen Stadtteils des 21. Jahrhunderts. Tovatts Architekturbüro erstellte den Masterplan,
der als städtebauliches Leitbild und Grundlage für alle weitere Planungen im Stadtentwicklungsgebiet dient. Zur „Geburtstagsfeier“
kamen Tovatt, die Wiener Stadtbaudirektorin Brigitte Jilka, Architektin Lina Streeruwitz und aspern Beiratsvorsitzende Christa
Reicher letzten Donnerstag ins Technologiezentrum Seestadt, um im Rahmen des CLUB Seestadt zum Thema „10 Jahre Masterplan
| aspern Die Seestadt Wiens | Planung + Wirklichkeit“ zu diskutieren. Moderiert wurde die Veranstaltung von Wojciech Czaja,
die wien 3420 aspern development AG war am Podium durch Vorstandsvorsitzenden Gerhard Schuster vertreten.
„Es war eine sehr komplexe Ausschreibung“, erinnert sich Tovatt. Zehn Jahre später ist aus der Planung bereits ein Stück urbane
und lebenswerte Wirklichkeit geworden. Das lobte auch der schwedische Masterplaner, der stolz ist, von Beginn an beim Projekt
dabei gewesen zu sein. Es sei eine große Leistung, aus einem „abstrakten Ding“ einen gut funktionierenden Stadtteil für mehrere
tausend Menschen und eine Vielzahl an Unternehmen zu schaffen, zeigt sich Tovatt zufrieden. Den richtigen Weitblick zu haben
sei eine der größten Schwierigkeiten bei solchen Plänen: „Wichtig ist nicht nur, was in zehn Jahren sein wird. Richtig interessant
ist es, wie wir die Pläne in den 2030er-Jahren sehen werden“, so der Masterplaner.
(Über)Mut und Risiko
„Wie viel kann man sich trauen? Wo machen Partner noch mit? Wie weit kann man gehen, um auch das Ungewöhnliche, das Innovative
umzusetzen, ohne dass man verschreckt?“, diese Fragen begleiten das Projekt seit der Anfangsphase berichtet Gerhard Schuster.
Die Themen Übermut und Risiko bestimmten auch die weitere Diskussion des Abends. Brigitte Jilka ist überzeugt: „Spielerischen
Übermut sollte jede Planung vorweg haben. Das hat mit der Zukunftssicht zu tun. In diesem Begriff steckt aber auch ‚Mut’,
also sich etwas zu trauen“, so die Wiener Stadtbaudirektorin. Gerade in der Frage der Mobilität sei das auch heikel gewesen:
„Im ersten Jahr der Besiedlung gab es massive Kritik, dass noch zu wenige Stellplätze und Garagen“ vorhanden wären, so Jilka.
Im Laufe der Zeit habe sich ein Kulturwandel eingestellt und die Menschen hätten gelernt, „wie man sich im Öffentlichen Raum
auch ohne Auto bewegen kann“. Jilka ist froh, dass der Entwurf aus 2007 kontinuierlich umgesetzt wurde. „Das ganze Leben“
sei in der Seestadt zwar noch nicht abgedeckt, aber man sei am besten Wege dorthin.
Bisherige Erfolgsfaktoren
Lina Streeruwitz, die an der Planung des Stadtentwicklungsgebiets Nordbahnhof beteiligt ist, hofft, dass man in zehn Jahren
auch noch auf eine gelungene Umsetzung zurückblicken wird: „Die Seestadt ist ein Projekt das Standards setzt.“ Als ein „Learning“
für andere Projekte sieht Streeruwitz das erfolgreiche Konzept, Leben in die Erdgeschoße zu bringen. Denn: „Was im Gebäude
passiert, korrespondiert mit dem Außen. Nur was innen funktioniert, funktioniert auch nach außen.“ Die Architektin ist überzeugt,
dass der politische Wille und die Finanzierung entscheidende Erfolgsfaktoren in der Umsetzung eines Entwicklungsprojekts sind.
Aus ihrer Sicht brauche das jeder neue Stadtteil, genauso wie eine „Betreiberfirma“ und eine Qualitätssicherung, wie in der
Seestadt durch den aspern Beirat.
Deren Vorsitzende, Christa Reicher, lobt den Spagat aus „Offenheit für Zukunft und Langfristigkeit“, ohne dabei aber die Bodenhaftung
zu verlieren, also aktuelle Bedürfnisse zu bedienen und erwähnt als Beispiel das Mobilitätskonzept der Seestadt. Reicher ist
froh über „das lernende System“: Es sei wichtig, stets kritisch zu hinterfragen, wie das bisher Umgesetzte funktioniere und
was man in Zukunft besser machen könnte: „In der ersten Phase war die Schaffung von Wohnraum stark im Vordergrund. Dann hat
man reflektiert und versucht jetzt, mehr auf Arbeit und Dienstleistungen zu fokussieren“, so Reicher. „Regelmäßige Feedbackschleifen
sind ein gutes Element, um die richtige Mischung aus Wohnen, Arbeit und öffentlichem Raum zu bekommen“, ist die Beiratsvorsitzende
überzeugt.
Nutzungsmix und Shopping
Gerhard Schuster plädierte dafür, den eingeschlagenen Weg, also die Kombination von Wohnen, Arbeiten und Freizeit und somit
das „ganze Leben an einem Ort“, weiterzugehen. Den Nutzungsmix hält er für wesentlich für eine erfolgreiche Entwicklung der
Seestadt: „Vom Grundkonzept der vielfältigen Nutzung dürfen wir nicht abkommen“, so der wien 3420 Vorstandsvorsitzende, der
entschlossen ist, die Eigentümer und Projektpartner auch weiterhin dafür gewinnen zu können.
Wie es mit dem Angebot im Bereich Shopping weitergeht und warum die gemanagte Einkaufsstraße einen wichtigen Grundstein dafür
gelegt hat, verriet wien 3420 Vorstand Alexander Kopecek: „Ohne professionellen Partner hätte sich zu Beginn kein Supermarkt
in die Seestadt getraut. Das Joint-Venture aus SES und wien 3420 hat das möglich gemacht. In Zukunft werden aber auch andere
Ketten in die Seestadt kommen.“ Wie eine zukünftige Einkaufsstraße heißen könnte, konnten die Gäste per Live-Online-Voting
abstimmen. Ebenso wurden per Handy-App Assoziationen des Publikums zur Seestadt gesammelt und als Begriffswolke präsentiert.