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Auch eine Stadt kann und muss lernen – in der Seestadt gibt es
einige Beispiele dafür, wie das planmäßig erfolgt – und manchmal auch schneller als geplant.Von Thea
SteinEine Mutter kennt das: Ein Kleinkind, das immer wieder Entwicklungssprünge macht – manchmal auch Dinge
auf die harte Tour lernt, aber schließlich durch all das wächst und profitiert. Bei einer Stadt ist es nicht viel anders.
Gerade, wenn ein Stadtviertel vielfältige Entwicklungspotenziale haben soll und man anfangs noch gar nicht alle Nutzungen
vorgeben möchte, die es in Zukunft dort geben wird, gilt es flexibel zu bleiben. In der Stadtentwicklung kann man das vor
allem bewerkstelligen, indem manche Flächen bewusst frei bleiben.
Im
asperner Seeparkquartier gab es
aber kürzlich die gegenteilige Entscheidung und einen Paradigmenwechsel, der nicht zuletzt auf Wunsch der Bewohner*innen passiert
ist. Die ursprüngliche Idee, viel Platz für Markstände und Eventflächen zu reservieren, wurde ad acta gelegt und das Nutzungskonzept
entsprechend verändert. Denn gefragt war stattdessen mehr Grün – und das schnell. „Die Menschen wollten lieber an Stauden
und Beeten vorbeigehen, künftige Nutzungsoptionen eines Stadtraums spielen im Alltag der Nutzer*innen daher keine wichtige
Rolle,“ sagt Peter Hinterkörner, Architekt und Stadtplaner.
Zwar habe man beispielsweise im Seeparkquartier zahlreiche
Platanen gepflanzt, die einmal riesige Kronen haben werden, doch brauchen diese eben noch viele Jahre, bis sie wirklich großzügig
Schatten spenden. Im Kernstück der Fußgängerzone ging die Stadt Wien daher gleich aufs Ganze mit weiteren Platanen in XXL
und XXXL, viel „Grün auf Augenhöhe“ und etlichen Wasserelementen zusätzlich zu den fünf Brunnen im Quartier.
Aber nicht
überall ist das Pflanzen von möglichst vielen Bäumen der Weisheit letzter Schluss. „In Zeiten, in denen Hitzephasen immer
mehr zunehmen, braucht eine klimaresiliente Stadt nächtliche Abkühlung“, so Hinterkörner. „Entscheidend ist also, den Abtransport
der tagsüber entstandenen Hitze zu erleichtern, über Durchlüftung oder Abstrahlung in den freien Himmel. Eine zu dichte oder
falsche Baumpflanzung in einem Innenhof kann sich daher sogar negativ auswirken, wenn nicht andere relevante Parameter ebenfalls
berücksichtigt werden“, erklärt Hinterkörner. Dies sei ein Beispiel dafür, wie einerseits die Wünsche der Bewohner*innen,
andererseits aber auch wissenschaftliche Erkenntnisse in die Stadtplanung einfließen. Der rasante und spürbare Klimawandel
bringe Veränderungen in der Planungskultur mit sich: „Stadtplanung muss heutzutage viel schneller reagieren als früher.“
Grün für soziale Interaktion. Abseits der klimatechnischen und ästhetischen Überlegungen spielt die
sichtbare Natur eine große Rolle für die Frage, wie wohl sich jemand in seiner Wohnumgebung fühlt, unterstreicht auch Evolutionsbiologin
Elisabeth Oberzaucher, wissenschaftliche Leiterin von Urban Human und Mitglied des
aspern-Beirats. „Pflanzen
und Wasserelemente sind ganz mächtige Instrumente, um Freiraumqualität zu erhöhen. Pflanzliches Grün sorgt dafür, dass wir
mehr soziale Interaktionen haben, gesünder sind und besser denken können. Es kann gar nicht genug Grün in einer Stadt sein.“
Natürlich seien Dachbegrünungen gut im Sinne des Mikroklimas, „aber das Grün, das wir sehen, hat umfassende Auswirkungen
auf die Psyche. Insofern ist es wichtig und gut, dass in der Seestadt mehr bodennahes Grün dazukommt, das jeder im Blick hat.“
Dass dafür der robuste Freiraum, der unter anderem für Veranstaltungen und Markttage gedacht war, nun anderswo entstehen muss,
findet Oberzaucher gut – als Teil des Lernprozesses einer Stadt. Begleitet werden die Veränderungen durch Messungen zum Aufenthaltskomfort
im Freien, wie Raumplanerin Carina Huber vom Planungsteam der Seestädter Entwicklungsgesellschaft Wien 3420 erzählt: „Es geht
nicht darum, nur einfach etwas sichtbar zu verändern. Wir möchten Instrumente, die wir bereits im Bereich Klimawandelanpassung
haben, zusammenzuführen. In mikroklimatischen Messungen sehen wir Zusammenhänge sehr gut und können so künftige Planungen
justieren.“ Und Kollegin Barbara Völker-Perkonigg, Landschaftsplanerin, unterstreicht: „Viele Maßnahmen in Sachen Bepflanzungen
und Beschattungen sind nicht offensichtlich, haben aber eine starke Wirkung.“
Kritisches Reflektieren.
Dass als Erkenntnis aus dem bereits Umgesetzten die Beete zu Füßen der Bäume nun bepflanzt werden, sieht Elisabeth Oberzaucher,
als „extrem positiv. Es ist gut, wie die Stadt Wien durch kritisches Hinschauen und Reflektieren nachbessert und für künftige
Projekte lernt.“ Sie begrüße sehr, sagt die Evolutionsbiologin, dass im Norden der Seestadt vieles, was im zuerst realisierten
Süden gelernt wurde, gleich umgesetzt wird.
Dass in der Planung der Seestadt viele Untersuchungen und Befragungen der
Bewohner*innen in die Weiterentwicklung einbezogen werden, sieht Oberzaucher auch in anderen Bereichen als außerordentlich
wichtig an: „Man muss sich anschauen, wie man es managen kann, dass so viele Menschen auf engem Raum zusammenleben können
und es nicht zu Konflikten kommt. In der Seestadt wurde hier beispielsweise ein besonderes Augenmerk auf jene Zonen gelegt,
die einen stufenweisen Übergang vom Privaten zum Öffentlichen haben.“ Es gebe vor allem dann Konfliktpotenzial, wenn privat
auf privat und privat auf ganz öffentlich trifft. „Wenn man Pufferzonen einplant, sind Probleme viel seltener zu erwarten“,
so Oberzaucher. Als gutes Beispiel nennt sie ein von querkraft und Idealice geplantes Wohnbauprojekt, das im Pionierquartier
entstand und schon Zeit hatte, seine Qualitäten zu zeigen. Hier wurden zwischen den Maisonettenwohnungen über der Tiefgarage
Grasflächen zugeordnet. Zäune gibt es nicht, alles wurde am Ideal der freien Passage und des kommunikativen Austauschs zwischen
Bewohner*innen und Nachbar*innen ausgerichtet: „Das ist wunderbar umgesetzt in einem stufenweisen Übergang zwischen öffentlichen
und privaten Flächen. Hier merkt man auch, dass dieser private Freiraum wahnsinnig viel genutzt wird und dass es keine Zäune,
Schilfmatten oder sonstige Blickschutz braucht – das ist immer ein gutes Zeichen dafür, dass Gestaltung gut funktioniert“,
sagt Oberzaucher. Der Dorfcharakter, den viele Menschen an der Seestadt schätzen, komme ja gerade durch die Begegnungen: „Dass
man sich auf gemeinsam genutzten Freiräumen informell begegnet, ist ja das Kernstück dessen, dass es soziales Miteinander
gibt. Das klappt in der Seestadt großartig.“
Erweiterter Wohnraum. Stadtleben funktioniere schließlich
nicht in den Gebäuden, sondern zwischen diesen, betont die Wissenschaftlerin. „Daher muss das Hauptaugenmerk in der Stadtplanung
darauf liegen, was zwischen den Häusern passiert – das ist für die Lebensqualität der Menschen besonders wichtig. Wenn die
Flächen zwischen den Gebäuden hochqualitativ und nutzbar sind, werden sie als erweiterter Wohnraum gesehen und erhöhen die
Qualität der Gebäude, die rundherum sind.“
Ein gutes Beispiel – sowohl für die lernende Stadt als auch für den erweiterten
„Wohnraum“ – wäre hier auch, wie öffentlich zugängliche Räume mehrfach genutzt werden: Plante man für den Bildungscampus im
Pionierquartier noch sehr großzügige Schulfreiräume und Sportbereiche, die für Mehrfachnutzung ab 17 Uhr und am Wochenende
geöffnet werden, so hat man im zweiten Bildungscampus im Quartier „Am Seebogen“ das Prinzip komplett umgedreht: Die Freiluft-Schulsportflächen
befinden sich im öffentlichen Raum. „Basketball-, Volleyball- und Fußballplätze sind für die Schülerinnen und Schüler da,
aber wenn sie sie nicht nutzen, sind sie zu jeder Tages- und Nachtzeit öffentlich zugänglich“, erklärt Peter Hinterkörner.
„Das wird stark angenommen, die Planung war ein unmittelbares Learning aus dem Pionierquartier.“ Dass die U-Bahn-Trasse ein
Dach für diese Sportplätze bietet, war ebenfalls eine Neuerung: „Die Grundidee war, dass eine U-Bahn, die ja auch etwas Trennendes
in einem Park sein könnte, durch die Nutzungsangebote als Teil des Parks angesehen und entsprechend gestaltet wird“, sagt
seine Kollegin, Barbara Völker-Perkonigg. „Sie ist nun ein sehr belebter Ort, an dem gespielt, gebouldert und geturnt wird.“
Ressource Wasser nutzen. Noch mehr Belebung soll auch durch Wasserelemente in die Seestadt kommen,
die im Zuge des Programms „klimafitte Musterstadt“ der Stadt Wien besonders großzügig umgesetzt werden konnten. Zu den bereits
bestehenden Brunnen in der neuen Fußgängerzone des Seeparkquartiers kommen nun auch ein großes Wasserspiel, etliche Nebelstelen,
Trinkbrunnen und mehrere Schaumdüsen hinzu. Hier können Bewohner*innen und Besucher*innen Abkühlung an heißen Tagen finden.
„Wasser ist besonders dann mächtig, wenn man mit ihm auch interagieren kann“, sagt Elisabeth Oberzaucher. „Wenn ich Kinder
sehe, die ihre Schuhe ausziehen und ins Wasser hüpfen, ist das ein wunderbares Zeichen, dass es gut ankommt.“ Wer in der Seestadt
vom Thema Wasser spricht, sollte aber auch unter die Erde schauen – gerade im Norden der Seestadt, wo mittels Schwammstadtprinzip
mit einem unterirdischen Regenwasserspeicher gearbeitet wird: „Anfallendes Regenwasser so schnell wie möglich in den Kanal
zu transportieren ist Denken des vorigen Jahrhunderts“, sagt Hinterkörner. „Es gilt, das Wasser nutzbar zu machen, indem man
es an so vielen Flächen wie möglich zum Versickern bringt. Das unterstützt nicht nur das Baumwachstum, sondern hilft auch
bei Starkregen. Wenn das Wasser nicht in wenigen Korridoren zu einem reißenden Bach wird, sondern an vielen Orten versickern
kann, kann etwa die Überflutung von Kellern verhindert werden.“ Diese Komponente des Klimawandels käme ihm in Diskussionen
zu kurz, gerade weil Überflutungen in den vergangenen Jahren ja vielerorts zunehmen. „Vielmehr wollen wir die Ressource Wasser
nutzen. So lernen auch wir Planerinnen und Planer laufend dazu. Gerade das ist ja eine große Stärke der Seestadt. Wir können
hier sehr schnell umlenken und adaptieren.“ Besonders innovativ ist die Umsetzung einer intelligenten Entsiegelung im Quartier
„Am Seebogen“, wo man – wie in so vielen Bereichen der Seestadt – größtmögliche Offenheit für viele Nutzungseventualitäten
bewahren, gleichzeitig aber viele Versickerungsflächen schaffen wollte. Dort, wo man heute noch nicht wissen kann, was der/die
Nutzer*in von morgen braucht, gilt es intelligente Maßnahmen zu finden, wie eben die Schwammstadt: Deren großen Versickerungsflächen
sind nur teilweise an der Oberfläche sichtbar, es bleibt genug Platz für Rad- und Fußwege, Spiel- und Sportplätze. Dafür ist
aber ihr Untergrund so aufgebaut, dass hier viel Regenwasser zurückgehalten wird und die Bäume viel mehr Wurzelraum bekommen
als in der Stadt sonst üblich. Sie sind besser mit Wasser versorgt, gleichzeitig werden Starkregenereignisse abgepuffert.
Das Mikroklima wird außerdem durch die erhöhte Verdunstungsleistung der Bäume verbessert.
Für andere Stadtteile
austesten. In der Seestadt geht es generell ja oft darum, Dinge auszuprobieren und vorzuleben, von denen dann andere
Stadtteile, nicht selten auch über Österreichs Grenzen hinaus, lernen können. Nicht allein für die Bewohner*innen der Seestadt,
sondern auch für andere wird getestet und analysiert. Und für künftig zu errichtende Quartiere vor Ort werden die Erkenntnisse
gleich in die Konzeption aufgenommen. Zur Gestaltung des öffentlichen Raums gibt es in der Seestadt konkrete Einbeziehungen
der Bevölkerung. „Das ist ein durchgehender Prozess, indem wir gemeinsam nochmal reflektieren und sehr niederschwellig die
Möglichkeit bieten, darüber zu sprechen, welche Qualitäten die Seestadt hat – und auch anhand von dem, was wir hier hören,
wird immer wieder nachjustiert“, beschreibt Barbara Völker-Perkonigg. Wichtig sei ihr, dass es hierbei nicht um ein „Beschwerdemanagement
gehen soll, sondern auch um ein Mitgestalten. Denn Lernen bedeutet nicht, dass einer aufschreit und die anderen alles umstellen,
sondern dass man gemeinsam Verbesserungen findet – und immer noch besser versteht, was die Menschen hier brauchen.“