Das Innovationslabor

Kategorien: Business + Netzwerk
Postet am: 12.08.2021
von Wien 3420 AG
Diesen und weitere spannende Artikel lesen Sie online in der aktuellen Ausgabe des Magazins workflow – Moderne Arbeitswelten in der Seestadt.

aspern Seestadt entwickelt sich zum Inkubator für die Stadt der Zukunft und wird dabei zum Anziehungspunkt für Unternehmen mit hoher Technologieaffinität. Im Zentrum steht – wie der Name schon sagt – das Technologiezentrum der Wirtschaftsagentur Wien.

Von Barbara Wallner


Wer in der Seestadt an einer Kreuzung steht und darauf wartet, dass die Fußgängerampel auf Grün schaltet, wird mitunter ein leicht blechernes Husten neben sich vernehmen. Wenn er sich umsieht, wird der aufmerksame Beobachter merken, dass dieses Gehüstel von einem Einkaufstrolley kommt, merkwürdig bestückt mit Sensoren. Es ist dies ein Requisit des aspern.mobil LAB, das in der Seestadt Forschungen zu unserer Mobilitätskultur anstellt. Wenn sich die Luftqualität verschlechtert, beginnt das Wagerl zu husten – und lockt nicht selten interessierte Beobachter an. „Dann beginnen wir mit den Leuten zu sprechen“, erzählt Informatikerin Hilda Tellioglu, die auch Teil des mobil LAB-Teams ist. „Wir merken sehr stark, wie aufgeschlossen die Menschen hier sind, aufmerksam, neugierig. Wahrscheinlich zieht die Seestadt einfach Menschen an, die eine neue Art von Stadt erleben und mitgestalten wollen.“

Anziehungspunkt für Forschung und Innovation

Das gilt freilich nicht nur für die Bewohner, sondern auch für die Unternehmen und war von Anfang an eines der Ziele des neuen Stadtteils. Die Seestadt sollte immer ein räumlicher Organismus aus Betrieben, Forschung und Entwicklung sein. „Unsere Strategie, große Player mit Start-ups in einem auf ihre Bedürfnisse zugeschnittenen Setting zusammenzubringen, ist aufgegangen“, erklärt Rainer Holzer, zuständig für Immobilien in der Wirtschaftsagentur Wien, der Bauherrin des Technologiezentrums. Als Impuls dafür wurde schon in einem frühen Stadium der Fokus auf Technologie und Forschung gelegt, manifestiert im Technologiezentrum. Ein Anziehungspunkt für hoch technologisierte Unternehmen und Forschungseinrichtungen für Wien. „Innovation und Forschung sind Impulstreiber, die hochwertige Arbeitsplätze schaffen. Für den Wirtschaftsstandort Wien ist das natürlich ein zentraler Faktor in der Wettbewerbsfähigkeit“, so Holzer. 

Das Technologiezentrum tz1 sowie der Nachfolger tz2 sind deshalb auf die Bedürfnisse entsprechender Unternehmen optimiert. Das neue tz3 wird durch Lehren aus den Vorgängern noch weiter perfektioniert werden. Beginnend bei einer noch leistungsstärkeren Internetverbindung, die die reibungslose Arbeit mit großen Datenmengen auf lange Sicht sicherstellt, über verstärkte Wände und Decken, die Produktion auf mehreren Ebenen ermöglichen, bis hin zu entsprechend gestalteten Zufahrten, über die die Mieteinheiten so direkt wie möglich erreicht werden können.

"Innovation und Forschung sind Impulstreiber, die hochwertige Arbeitsplätze schaffen. Ein zentraler Faktor für die Wettbewerbsfähigkeit."
Rainer Holzer

Daten im Mittelpunkt

Im Mittelpunkt der Innovation steht die Arbeit mit hochwertigen Daten und das Know-how, wie man mit diesen umgeht, dazu kommen aber Bestrebungen, das Arbeitsumfeld dafür so nachhaltig und zukunftsfit wie möglich zu gestalten. Vorreiter dafür waren etwa die Pilotfabrik für Industrie 4.0 oder das
Center for Digital Production (CDP). 

„Das ist sicher etwas, das Unternehmen anzieht; dass sie hier in der Seestadt die digitale, technische und auch methodische Infrastruktur vorfinden, die sie für Innovation brauchen“, ist Tellioglu überzeugt. Quantität und Qualität, auch bei Daten. Auch im aspern mobil LAB beispielsweise werden natürlich nicht nur hustende Trolleys durch die Gegend gezogen, sondern quantitativ und qualitativ Daten zur herrschenden – und natürlich wünschenswerten – Mobilitätskultur gesammelt. Welche Wege legen wir zurück? Welche Transportmittel wählen wir für welchen Weg? Welchen Einfluss haben Luftqualität, Staub oder Temperatur darauf, wie lang wir uns an einem Ort aufhalten? „Die Menschen sind unsere Forschungs-Community, sie entwickeln mit uns Methoden, Daten, Ideen weiter. Das Zusammenspiel zwischen digitaler Technologie und Mensch funktioniert hier einfach.“ Man versuche, Menschen auch zu vermitteln, mit Technik vertraut zu werden.
 

Innovation entsteht nicht aus der Masse

So sollen ab Herbst Luftsensoren in Eigenregie auf den persönlichen Balkon gestellt und über das Smartphone beobachtet werden können – wer Daten teilen möchte, kann das anonymisiert tun, muss aber nicht. Aber: „Man muss kein Smartphone besitzen, um in der Seestadt eine Stimme zu haben“, so Tellioglu. Im nächsten Schritt sollen deshalb Hubs mit Touchscreen eingerichtet werden, wo man beispielsweise eingeben kann: „Ich bin heute mit dem Bus gefahren.“ Was über Sensoren und Hochrechnungen erhoben wird, hat aber in sich noch keine Aussage – denn Daten brauchen Kontext, Interpretation.


Diese liefern Workshops, Gespräche, Befragungen, erklärt Tellioglu. Was die Daten des aspern.mobil LAB qualitativ so hochwertig mache, sei die Arbeit in Kleingruppen, wo spezielle Situationen besprochen und analysiert werden können. „So entstehen Innovationsspitzen. Die entstehen nicht aus der Masse.“ Die erhobenen Daten werden auch Unternehmen zur Verfügung gestellt. So können neue Lösungen und Services erarbeitet werden, die dann in größerem Maßstab implementiert werden können.

"Wahrscheinlich zieht die Seestadt einfach Menschen an, die eine neue Art von Stadt erleben und mitgestalten wollen."
Hilda Tellioglu

Industrie ohne rauchende Schlote

Im Kleinen ausprobiert, was später großflächig Realität werden könnte, wird auch in der Pilotfabrik 4.0 der TU Wien. Denn die Industrie 4.0, also eine digitalisierte, hoch technologisierte Produktion, hat einerseits enorme Auswirkungen auf die Wettbewerbsfähigkeit eines Wirtschaftsstandortes, andererseits auf die Möglichkeiten der Stadtentwicklung. „Die Industrie war lange Zeit mit rauchenden Schloten verbunden. Das hat dazu geführt, dass sie aus den Städten hinausgewandert ist. Ziel der smarten Produktion ist es auch, diese Entwicklung rückgängig zu machen und hoch technologische Fertigung wieder in der Stadt anzusiedeln“, so Holzer. Schließlich sei eine homogen integrierte Produktion ein wesentlicher Bestandteil eines funktionierenden urbanen Gefüges. Der Schwerpunkt auf Fertigungstechnik habe sich unter anderem auch durch die Ansiedlung des Technologiekonzerns HOERBIGER ergeben. Dieser ist weltweit in der Ventil- und Kompressortechnik tätig, seine Produkte und Services kommen in Gasmotoren, Fahrzeuggetrieben oder in der Automobilhydraulik zum Einsatz.
 

Ein wettbewerbsfähiges Europa

Die Zukunft der Produktion in Europa ist auch Fokus des EIT Manufacturing CLC East, das ebenfalls in der Seestadt zu Hause ist und für das die Pilotfabrik einen wichtigen Partner darstellt. Das Europäische Innovations- und Technologieinstitut ist Teil eines EU-weiten Innovationsförderungsprogramms in den Bereichen Klimawandel, Energie, Informations- und Kommunikationstechnologie, Gesundheit, Rohstoffe, Lebensmittelversorgung, urbane Mobilität und eben Fertigung, das als einer von fünf großen Hubs europaweit in der Seestadt angesiedelt ist.

Ziel sei es, so erklärt Johannes Hunschofsky, Managing Director, Ökosysteme zu schaffen, die Innovation fördern und vorantreiben – und zwar nicht nur in der Grundlagenforschung, sondern vielmehr auf dem Weg zur praktischen Implementierung. Hunschofsky schildert zwei wesentliche Herausforderungen, vor der die industrielle Produktion in Europa in den nächsten Jahren stehen wird: Die Wettbewerbsfähigkeit, vor allem gegenüber den USA und China, und die Umweltverschmutzung.
 

Digitalisierung für den Umweltschutz

„Die Produktion ist immer noch sehr belastend für die Umwelt. Das heißt aber auch, dass es großes Potenzial gibt, sauberer zu werden“, so Hunschofsky.
Die Digitalisierung sei dabei extrem wichtig, um durch Daten bessere Entscheidungen zu treffen, wirtschaftlicher und ressourcenschonender zu produzieren. Wie genau? „Nehmen Sie das Beispiel eines Werkzeughalters, der einen Fräser hält“, erklärt Hunschofsky. „Durch die mit Elektronik versehenen Smart Tool Holders, eine Erfindung des Instituts für Fertigungstechnik der TU Wien, werden nicht nur die Arbeitsparameter der Fräser optimiert, die gewonnenen Daten erlauben auch, dass Fräser länger verwendet werden können, ohne das Risiko eines Fräserbruchs in Kauf zu nehmen. Dies führt zur Verwendung von weniger Fräsern, was dem Unternehmen Kosten spart. Weniger Fräser bedeuten auch weniger Energieeinsatz bei der Erzeugung von Fräsern. Das klingt nicht nach viel – aber wenn man sich überlegt, wie viele Fräsmaschinen es in Österreich gibt, wird klar, wie viel Ressourcen und Geld man so sparen kann.“

"Wir wollen einen Sog erzeugen für Innovation, für Großdenker und Ausprobierer, für neue Businessmodelle."
Johannes Hunschofsky

Durch Austausch, Open Innovation und Unternehmensnetzwerke will die EU langfristig eine Führungsposition in der Fertigung übernehmen. Durch die Digitalisierung könne man Kostenvorteile in anderen Ländern kompensieren und als Standort wieder attraktiver werden.

In der Seestadt fühlt man sich jedenfalls sehr wohl, die Unterstützung, die man in diesem Netzwerk erfahre, sei enorm und das Umfeld attraktiv: „Wir wollen ja auch einen Sog erzeugen für Innovation, für Großdenker und Ausprobierer, für neue Businessmodelle.“


 

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