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in der Seestadt.
aspern Seestadt entwickelt sich zum Inkubator für die Stadt der Zukunft und wird dabei zum Anziehungspunkt
für Unternehmen mit hoher Technologieaffinität. Im Zentrum steht – wie der Name schon sagt – das Technologiezentrum der Wirtschaftsagentur
Wien.Von Barbara Wallner
Wer in der Seestadt an einer Kreuzung steht und darauf
wartet, dass die Fußgängerampel auf Grün schaltet, wird mitunter ein leicht blechernes Husten neben sich vernehmen. Wenn er
sich umsieht, wird der aufmerksame Beobachter merken, dass dieses Gehüstel von einem Einkaufstrolley kommt, merkwürdig bestückt
mit Sensoren. Es ist dies ein Requisit des aspern.mobil LAB, das in der Seestadt
Forschungen zu unserer Mobilitätskultur anstellt. Wenn sich die Luftqualität verschlechtert, beginnt das Wagerl zu husten
– und lockt nicht selten interessierte Beobachter an. „Dann beginnen wir mit den Leuten zu sprechen“, erzählt Informatikerin
Hilda Tellioglu, die auch Teil des mobil LAB-Teams ist. „Wir merken sehr stark, wie aufgeschlossen die Menschen hier sind,
aufmerksam, neugierig. Wahrscheinlich zieht die Seestadt einfach Menschen an, die eine neue Art von Stadt erleben und mitgestalten
wollen.“
Anziehungspunkt für Forschung und Innovation
Das gilt freilich nicht nur für die Bewohner, sondern
auch für die Unternehmen und war von Anfang an eines der Ziele des neuen Stadtteils. Die Seestadt sollte immer ein räumlicher
Organismus aus Betrieben, Forschung und Entwicklung sein. „Unsere Strategie, große Player mit Start-ups in einem auf ihre
Bedürfnisse zugeschnittenen Setting zusammenzubringen, ist aufgegangen“, erklärt Rainer Holzer, zuständig für Immobilien in
der Wirtschaftsagentur Wien, der Bauherrin des Technologiezentrums. Als Impuls dafür wurde schon in einem frühen Stadium der
Fokus auf Technologie und Forschung gelegt, manifestiert im Technologiezentrum. Ein Anziehungspunkt für hoch technologisierte
Unternehmen und Forschungseinrichtungen für Wien. „Innovation und Forschung sind Impulstreiber, die hochwertige Arbeitsplätze
schaffen. Für den Wirtschaftsstandort Wien ist das natürlich ein zentraler Faktor in der Wettbewerbsfähigkeit“, so Holzer.
Das Technologiezentrum tz1 sowie der Nachfolger tz2 sind deshalb auf die Bedürfnisse
entsprechender Unternehmen optimiert. Das neue tz3 wird durch Lehren aus den Vorgängern noch weiter perfektioniert werden.
Beginnend bei einer noch leistungsstärkeren Internetverbindung, die die reibungslose Arbeit mit großen Datenmengen auf lange
Sicht sicherstellt, über verstärkte Wände und Decken, die Produktion auf mehreren Ebenen ermöglichen, bis hin zu entsprechend
gestalteten Zufahrten, über die die Mieteinheiten so direkt wie möglich erreicht werden können.
"Innovation und Forschung sind Impulstreiber, die hochwertige Arbeitsplätze schaffen. Ein zentraler Faktor für die Wettbewerbsfähigkeit."
Rainer Holzer
Daten im Mittelpunkt
Im Mittelpunkt der Innovation steht
die Arbeit mit hochwertigen Daten und das Know-how, wie man mit diesen umgeht, dazu kommen aber Bestrebungen, das Arbeitsumfeld
dafür so nachhaltig und zukunftsfit wie möglich zu gestalten. Vorreiter dafür waren etwa die Pilotfabrik für Industrie 4.0
oder das
Center for Digital Production (CDP).
„Das ist sicher etwas, das Unternehmen anzieht; dass sie hier in der Seestadt die digitale, technische und auch
methodische Infrastruktur vorfinden, die sie für Innovation brauchen“, ist Tellioglu überzeugt. Quantität und Qualität, auch bei Daten. Auch im
aspern mobil LAB beispielsweise werden natürlich nicht nur hustende Trolleys durch die Gegend gezogen, sondern quantitativ und qualitativ Daten zur herrschenden – und natürlich
wünschenswerten – Mobilitätskultur gesammelt. Welche Wege legen wir zurück? Welche Transportmittel wählen wir für welchen Weg? Welchen Einfluss haben Luftqualität, Staub oder
Temperatur darauf, wie lang wir uns an einem Ort aufhalten? „Die Menschen sind unsere Forschungs-Community, sie entwickeln
mit uns Methoden, Daten, Ideen weiter. Das Zusammenspiel zwischen digitaler Technologie und Mensch funktioniert hier einfach.“ Man versuche, Menschen auch zu
vermitteln, mit Technik vertraut zu werden.
Innovation
entsteht nicht aus der Masse
So sollen ab Herbst Luftsensoren in Eigenregie auf den persönlichen Balkon gestellt und über das
Smartphone beobachtet werden können – wer Daten teilen möchte, kann das anonymisiert tun, muss aber nicht. Aber: „Man muss kein Smartphone besitzen, um in der Seestadt
eine Stimme zu haben“, so Tellioglu. Im nächsten Schritt sollen deshalb Hubs mit Touchscreen eingerichtet werden, wo
man beispielsweise eingeben kann: „Ich bin heute mit dem Bus gefahren.“ Was über Sensoren und Hochrechnungen
erhoben wird, hat aber in sich noch keine Aussage – denn Daten brauchen Kontext, Interpretation.
Diese liefern Workshops, Gespräche,
Befragungen, erklärt Tellioglu. Was die Daten des aspern.mobil LAB qualitativ so hochwertig mache, sei die Arbeit in Kleingruppen,
wo spezielle Situationen besprochen und analysiert werden können. „So entstehen Innovationsspitzen. Die entstehen nicht aus
der Masse.“ Die erhobenen Daten werden auch Unternehmen zur Verfügung gestellt. So können neue Lösungen und Services erarbeitet
werden, die dann in größerem Maßstab implementiert werden können.
"Wahrscheinlich zieht die Seestadt
einfach Menschen an, die eine neue Art von Stadt erleben und mitgestalten wollen."
Hilda Tellioglu
Industrie
ohne rauchende Schlote
Im Kleinen ausprobiert, was später großflächig Realität werden könnte, wird auch in der Pilotfabrik
4.0 der TU Wien. Denn die Industrie 4.0, also eine digitalisierte, hoch technologisierte Produktion, hat einerseits enorme
Auswirkungen auf die Wettbewerbsfähigkeit eines Wirtschaftsstandortes, andererseits auf die Möglichkeiten der Stadtentwicklung.
„Die Industrie war lange Zeit mit rauchenden Schloten verbunden. Das hat dazu geführt, dass sie aus den Städten hinausgewandert
ist. Ziel der smarten Produktion ist es auch, diese Entwicklung rückgängig zu machen und hoch technologische Fertigung wieder
in der Stadt anzusiedeln“, so Holzer. Schließlich sei eine homogen integrierte Produktion ein wesentlicher Bestandteil eines
funktionierenden urbanen Gefüges. Der Schwerpunkt auf Fertigungstechnik habe sich unter anderem auch durch die Ansiedlung
des Technologiekonzerns HOERBIGER ergeben. Dieser ist weltweit in der Ventil- und Kompressortechnik tätig, seine Produkte
und Services kommen in Gasmotoren, Fahrzeuggetrieben oder in der Automobilhydraulik zum Einsatz.
Ein wettbewerbsfähiges
Europa
Die Zukunft der Produktion in Europa ist auch Fokus des EIT Manufacturing CLC East, das ebenfalls in der Seestadt
zu Hause ist und für das die Pilotfabrik einen wichtigen Partner darstellt. Das Europäische Innovations- und Technologieinstitut
ist Teil eines EU-weiten Innovationsförderungsprogramms in den Bereichen Klimawandel, Energie, Informations- und Kommunikationstechnologie,
Gesundheit, Rohstoffe, Lebensmittelversorgung, urbane Mobilität und eben Fertigung, das als einer von fünf großen Hubs europaweit
in der Seestadt angesiedelt ist.
Ziel sei es, so erklärt Johannes Hunschofsky, Managing Director, Ökosysteme
zu schaffen, die Innovation fördern und vorantreiben – und zwar nicht nur in der Grundlagenforschung, sondern vielmehr auf
dem Weg zur praktischen Implementierung. Hunschofsky schildert zwei wesentliche Herausforderungen, vor der die industrielle
Produktion in Europa in den nächsten Jahren stehen wird: Die Wettbewerbsfähigkeit, vor allem gegenüber den USA und China,
und die Umweltverschmutzung.
Digitalisierung für den Umweltschutz
„Die Produktion ist immer noch
sehr belastend für die Umwelt. Das heißt aber auch, dass es großes Potenzial gibt, sauberer zu werden“, so Hunschofsky.
Die Digitalisierung sei dabei extrem wichtig, um durch Daten bessere Entscheidungen zu treffen, wirtschaftlicher und ressourcenschonender
zu produzieren. Wie genau? „Nehmen Sie das Beispiel eines Werkzeughalters, der einen Fräser hält“, erklärt Hunschofsky. „Durch
die mit Elektronik versehenen Smart Tool Holders, eine Erfindung des Instituts für Fertigungstechnik der TU Wien, werden nicht
nur die Arbeitsparameter der Fräser optimiert, die gewonnenen Daten erlauben auch, dass Fräser länger verwendet werden können,
ohne das Risiko eines Fräserbruchs in Kauf zu nehmen. Dies führt zur Verwendung von weniger Fräsern, was dem Unternehmen Kosten
spart. Weniger Fräser bedeuten auch weniger Energieeinsatz bei der Erzeugung von Fräsern. Das klingt nicht nach viel – aber
wenn man sich überlegt, wie viele Fräsmaschinen es in Österreich gibt, wird klar, wie viel Ressourcen und Geld man so sparen
kann.“
"Wir wollen einen Sog erzeugen für Innovation, für Großdenker und Ausprobierer, für
neue Businessmodelle."
Johannes Hunschofsky
Durch Austausch, Open Innovation und Unternehmensnetzwerke will
die EU langfristig eine Führungsposition in der Fertigung übernehmen. Durch die Digitalisierung könne man Kostenvorteile in
anderen Ländern kompensieren und als Standort wieder attraktiver werden.
In der Seestadt fühlt man sich jedenfalls
sehr wohl, die Unterstützung, die man in diesem Netzwerk erfahre, sei enorm und das Umfeld attraktiv: „Wir wollen ja auch
einen Sog erzeugen für Innovation, für Großdenker und Ausprobierer, für neue Businessmodelle.“